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Alle Uhren stehen still

Guido Hannig geht in Rente und schließt seinen Laden. Der Zittauer Ratsuhrmacher bleibt ohne Nachfolger.

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© Matthias Weber

Von Mario Heinke

Zittau. Lange hat Guido Hannig gezögert, obwohl er das Rentenalter bereits vor vier Jahren erreicht hat. „Nun ist Schluss“, sagt der 69-Jährige. Am Monatsende schließt der Uhrmachermeister sein Uhren- und Schmuckgeschäft am Rathausplatz. Der Ausverkauf hat längst begonnen, nur noch einzelne Wanduhren hängen an der Wand. In den Vitrinen werden die Lücken zwischen den ausgestellten Uhren immer größer. In der letzten Woche gewährt der Inhaber 40 Prozent Nachlass auf alles, was bislang noch keinen Käufer gefunden hat.

Ein Hund aus Plüsch sitzt am Boden und erinnert an Hannigs Boxer. Der stadtbekannte Rüde trug den Namen Isaak von Moulin Rouge und lag seit 1993 hinter dem Verkaufstresen, bevor er 2007 das Zeitliche segnete. Auch sein Nachfolger aus Stoff wird jetzt das Feld räumen und in die Wohnung von Anita und Guido Hannig im Dachgeschoss umziehen. Wenn Hannig am Monatsende das Licht ausmacht, verschwindet nach 68 Jahren ein weiterer Zittauer Traditionsbetrieb. 1949 übernahm Vater Fritz Hannig ein Uhrengeschäft von Otto Jacob in der Frauenstraße und firmierte in der Folgezeit unter dem Namen Otto Jacob Nachfolger.

Guido Hannig, 1947 in St. Marienthal geboren, erlernte dort das Uhrmacherhandwerk, arbeitete als Geselle und legte 1975 die Meisterprüfung ab, bevor er 1984 das väterliche Unternehmen übernahm. Auch Bruder Bernhard war Uhrmachermeister. Das brachte dem Handwerksbetrieb den Beinamen „Hannigs, die drei Meister“ ein. 1985 stieg Anita Hannig, die zuvor bei Robur gearbeitet hatte, ins Geschäft ihres Mannes ein. „Seitdem sind wir 24 Stunden am Tag zusammen“, witzelt die Frau. 1965 hatte sie ihren Mann beim Jugendtanz der FDJ (Freie Deutsche Jugend) in der Robur-Aula kennengelernt. „Wir waren damals auf jedem Tanzsaal zu finden“, erinnert sich Anita Hannig. Im Uhrengeschäft kümmerte sie sich um den Kommissionshandel mit der HO, der staatlichen Handelsorganisation der DDR. Damals bekamen private Händler die Waren von der HO zugeteilt und erhielten eine Provision auf verkaufte Kommissionsware. „Die besten Uhren verkaufte die HO in ihren eigenen Geschäften“, erinnert sie sich an die Mangelwirtschaft. Trotzdem gab es in der Werkstatt immer viel zu tun.

Im Dezember 1987 ernannte die Stadtverordnetenversammlung Guido Hannig zum Ratsuhrmacher, weil sein Vorgänger Wolfgang Böhmig das Rentenalter erreicht hatte. In den Anfangsjahren mussten die öffentlichen Uhren noch mit der Hand aufgezogen werden. Alle zwei Tage marschierte der Ratsuhrmacher los und sorgte dafür, dass die Uhrwerke am Johanneum, in der Kloster- und Spittelkirche, im Rathaus, in der Lessingschule, im Altenheim gegenüber der Weberkirche, im Taxibüro am Markt und die Blumenuhr nicht stehen bleiben. Den Turm der Spittelkirche betrat Hannig nur mit Mundschutz, weil sich im Innern der Taubenkot türmte. Im Urlaub übernahm Sohn Philipp die Aufgabe. Bis heute ist noch ungeklärt, wer neuer Ratsuhrmacher wird und sich um die Reparaturen der Uhren kümmert. „Das will keiner machen“, sagt er.

Einmal war das Amt sehr hilfreich für den Handwerksbetrieb. Das marode Haus in der Frauenstraße, indem sich damals der Laden befand, gehörte dem VEB Gebäudewirtschaft und verfiel Ende der 80er Jahre immer mehr. Hannig suchte nach einem neuen Standort. Als dem Pelzhändler Elsner im September 1989 die Ausreise in den Westen genehmigt wurde, kaufte Hannig dessen Einrichtung und hoffte, den Laden am Rathausplatz von der Stadt mieten zu können. Die Stadt lehnte ab. Hannig drohte daraufhin sein Amt als Ratsuhrmacher hinzuschmeißen. Der damalige Bürgermeister Reitz gab nach und der Uhrmacher konnte das ehemalige Pelzgeschäft am Rathausplatz mieten.

Am 2. Januar 1990 war Eröffnung. 1993 wurde eine neue Ladeneinrichtung eingebaut. Nach dem Kauf des Eckhauses sanierten die Hannigs 1996 das Gebäude, in dem sich zwei weitere Läden und acht Wohnungen befinden. An die ersten Jahre nach der politischen Wende erinnert sich der Meister gern: „Der Nachholebedarf war riesig, fast jeder kaufte eine neue Uhr“. Auch in der Kommunalpolitik mischte der Zittauer mit, saß als Vertreter der katholischen Kirche am Runden Tisch und zog nach der ersten freien Wahl im Juni 1990 in den Stadtrat ein. Als Parteiloser blieb er 25 Jahre lang, noch bis 2015 Stadtrat der CDU-Fraktion.

Die goldenen Zeiten in der Branche währten nicht lange. Deshalb zeigen die beiden Söhne kein Interesse, den Betrieb in Zittau weiterzuführen. Sohn Philipp ist auch Uhrmacher und Goldschmied. Er arbeitet bei Tag Heuer, einer Edelmarke im baden-württembergischen Pforzheim und Sohn Vinzent ist Diplomingenieur bei Siemens. Ab 1. November steht der Laden leer. Interessenten können sich bei Familie Hannig melden.