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Alle Herzen für Domenic

Die Menschen der Lebenshilfe Bischofswerda spenden für einen schwer kranken Jungen. Er wird nun reich beschenkt.

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© Steffen Unger

Von Carolin Menz

Bischofswerda. Marlies Kluge weiß, wie sich das anfühlt, wenn einem plötzlich der Boden unter den Füßen entgleitet. Wenn plötzlich alles anders wird und nichts mehr ist wie zuvor. 2004 ging es Marlies Kluge sehr schlecht. Vieles lief da irgendwie schief im Leben. Viele persönliche Gründe führten dazu, dass sie krank wurde. Psychisch krank. Die heute 60-Jährige, die drei Kinder großgezogen hat, suchte Hilfe und ließ sich behandeln. Heute gilt sie als nur sehr eingeschränkt belastbar. Nur wenige Stunden am Tag könne sie arbeiten, attestierte damals der Arzt.

Auf dem ersten Arbeitsmarkt hatte Marlies Kluge damit keine Chance mehr. „Deshalb kam ich 2005 hierher zur Lebenshilfe“, sagt sie.

Es war ihre Rettung. Die Chance, zurückzufinden ins Leben und teilzuhaben am Arbeitsleben. „Ich bin in der Wäscherei tätig, ich habe hier eine Aufgabe. Das hat mir sehr geholfen“, sagt Marlies Kluge. Sie nimmt regelmäßig ihre Medikamente und hat in den Betreuern bei der Lebenshilfe jederzeit fachkundige Ansprechpartner an ihrer Seite. Stolz ist sie darauf, dass sie in diesem Jahr nicht einmal im Job fehlte wegen einer psychischen Erkrankung.

Mitgefühl für Menschen in Not

Man könnte meinen, Maries Kluge und ihre Werkstattkollegen mit körperlichen oder geistigen Behinderungen oder psychischen Erkrankungen hätten allein mit sich zu tun. Weit gefehlt. „Sie haben alle ein großes Herz und können Empathie für Menschen in Notlage empfinden“, sagt Kathrin Gargula, seit zehn Jahren Bildungsbegleiterin bei der Lebenshilfe in Bischofswerda. Und so haben sie jetzt alle viel Geld für Domenic gespendet. Weil seine Geschichte berührte, die sie im September in der Bischofswerdaer SZ gelesen hatten.

Im letzten Winter diagnostizierten die Ärzte bei Domenic aus Bautzen das myelodysplastische Syndrom (MDS), eine Erkrankung des Knochenmarks, bei der zu wenig funktionstüchtige Blutzellen gebildet werden. Bei Domenic drohte die Krankheit in eine akute Leukämie überzugehen. Einzige Rettung war eine Stammzellenspende. Er hatte riesiges Glück, ein passender Spender wurde gefunden. Am 14. Juni erfolgte die Stammzellenspende. Die SZ begleitet den Jungen und seine Familie seitdem.

Als Kathrin Gargula im September über den tapferen Kämpfer las, ging es ihm sehr schlecht. Zwar arbeiteten die neuen Zellen gut. Doch der kleine Kerl, der erschreckend dünn geworden war, musste schmerzhafte Heparin-Spritzen erleiden, viele Medikamente nehmen und mit diesem blöden Katheter für Infusionen in den Bauch leben. Musste fast jeden Tag zu Untersuchungen und Behandlungen auf die Kinderkrebsstation im Dresdner Uniklinikum. Und konnte nur hoffen, dass er bald heim durfte.

Spendensammlung hat Tradition

Kathrin Gargula und die Menschen von der Lebenshilfe wollten helfen und Geld sammeln. Einmal im Jahr tun sie das ohnehin für den guten Zweck. „Wir haben schon für ein Tierheim, ein Kinderheim oder Opfer von Hochwasser gespendet“, sagt Geschäftsführer Frank Packbauer. Es ist die Aufgabe des Werkstattrates darüber zu entscheiden, wie Spendenaktionen ablaufen und wohin die Gelder gehen. Unterstützt von Werkstattrat-Vertrauensperson Kathrin Gargula, die dazu Anstöße gab und gibt. Fünf Menschen mit Behinderung gehören diesem Rat an, gewählt von ihren Kollegen. „Wir haben gemeinsam beschlossen, dass das Geld in diesem Jahr an Domenic gehen soll“, sagt Marlies Kluge, die dem Werkstattrat seit Januar angehört.

Gebeten wurden alle um eine freiwillige Spende. 280 Menschen mit und ohne Behinderung gaben etwas. Der eine mehr, der andere weiger. „450 Euro sind zusammengekommen“, sagt Marlies Kluge. Domenics Mama Petra Sauer ist gerührt von der Aktion. „Ich bin so unendlich dankbar“, sagt die Alleinerziehende, die schon drei erwachsene Kinder hat. „Ich werde mit dem Geld Domenic im Februar neu einkleiden. Mit allem, was Batman drauf hat.“ Er ist sein großer Held. Und wie Batman hat der schmale Junge gekämpft in den vergangenen Wochen und wurde sogar ein bisschen größer dabei. „Es geht ihm gut, er ist zu Hause“, sagt seine Mama. Alle Medikamente sind abgesetzt und Domenic hat endlich diesen blöden Katheter los. „Als er entfernt war, hat er zwei Stunden vor Glück geweint“, so Petra Sauer. Seine Blutwerte sind gut, lange brauchte er keine Bluttransfusion mehr. Gute Zeichen, die hoffen lassen.

Dunkle Tage werden weniger

Und doch gibt es immer noch schwere Tage. „Domenic hat große Probleme mit dem Darm, deshalb geht es ihm oft noch sehr schlecht“, sagt Petra Sauer. Just an solch einem Tag standen Margit Kluge, Kathrin Gargula und Frank Packbauer von der Lebenshilfe vor der Tür in Bautzen, um das Geld persönlich zu übergeben. „Mir tut es leid, dass ich mich um den Besuch gar nicht richtig kümmern konnte. Aber Domenic brauchte mich“, sagt Petra Sauer. Sie muss sich nicht entschuldigen. Gerade die Menschen von der Lebenshilfe haben Verständnis dafür.

Marlies Kluge kennt sie auch, die dunklen Momente. Bei ihr führen sie dazu, dass sie zeitweise nicht so aufgeschlossen ist wie gerade und kein offenes Ohr für die Kollegen hat. Dann zieht sie sich zurück. Sie sei machtlos dagegen. „Doch es wird weniger, das Positive überwiegt“, sagt Marlies Kluge, auch weil sie den Rückhalt ihrer Familie hat. So wie Domenic, der seine Mama, seine Geschwister und seine Freunde hat und die Menschen der Lebenshilfe Bischofswerda, die ihn im Herzen haben.