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Akkuschrauber statt Pinsel

Ralf Kerbach ist eigentlich Maler und Professor – in Naustadt arbeitet er jetzt als Dachdecker, Maurer und Zimmermann.

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Von Udo Lemke

Ralf Kerbach hockt hoch oben unter dem Giebel auf einem Gerüst. Er imprägniert das Holzgewände eines Fensters. Später wird er sagen: „Das ist jetzt mein Handwerkszeug“ und einen Akkuschrauber auf den Tisch stellen. Aus dem Fenster des kleinen Auszugshauses fällt der Blick auf das große, langgestreckte Wohn-Stall-Haus gegenüber. Das Dach muss noch gedeckt werden, die Ziegel fehlen, aber die Lattung, die sie einmal tragen wird, ist schon fertig. Man sieht, dass das Fachwerk ausgebessert worden ist, an einigen Stellen sind neue Balken eingesetzt worden, an anderen fehlt die Lehmfüllung. Kurz: Es ist eine einzige Baustelle, die Ralf Kerbach in Naustadt an der Scharfenberger Straße sein Eigen nennt. Zwischen dem einstigen Auszugshaus, in dem die Altbauern auf ihrem Altenteil saßen und dem großen Bauernhaus, türmen sich Schuttberge. „Am Anfang war der ganze Hof voll davon.“ In Folie verpackte Dachziegel stapeln sich, und angeschnittene Balken und Bohlen sind zu sehen.

Entdeckt hat Ralf Kerbach „diesen ruinösen Hof, der völlig eingewachsen war“, im Internet. Und als er an einem diesigen Tag im November 2015 das erste Mal hier war, hat er sein Herz an ihn verloren. Denn für Ralf Kerbach schließt sich ein Kreis, ist Naustadt eine Art Rückkehr. Als 15-, 16-Jähriger ist er oft mit dem Fahrrad von Radebeul in die Gegend gekommen. Er hat Schloss Scharfenberg, das der Hauch der Romantik von Fouqué bis Novalis und Caspar David Friedrich umweht, oft gezeichnet –  „auch in Mondscheinnächten“. Doch Anfang der 1980er Jahre wurde er von der Hochschule, an der er heute lehrt, als Student der Malerei und Grafik aus politischen Gründen exmatrikuliert. Es folgte die Ausreise nach Westberlin, ein Leben in Frankreich und die Rückkehr nach Dresden.

Seit März ist Ralf Kehrbach, wann immer es geht, von sechs Uhr am Morgen bis abends um acht auf der Baustelle. Ob ihm die Arbeit im Atelier vor der Staffelei nicht fehle, lautet die Frage: „Überhaupt nicht, ich genieße es, einmal ein paar Monate nicht zu malen. Ich habe eine ungeheure Lust, körperlich zu arbeiten. Und ich habe durch die Arbeit hier so viele Bildideen in mir angesammelt, dass ich gar nicht weiß, wie ich die jemals umsetzen soll.“

Ralf Kerbach wäre nicht Ralf Kerbach, wenn er in dem Haus nicht noch etwas sehen würde, dass über es selbst hinausgeht: „Für mich ist es noch einmal eine Herausforderung, ein Haus als Gesamtkunstwerk, als Skulptur zu sehen.“ Und zwar als eine zeitlich eingebettete. Über der Tür steht im Schlussstein die Jahreszahl 1842. „Da lebte Hölderlin noch, und Cézanne war gerade einmal drei Jahre alt.“ Es war im Grunde noch die Zeit der Vor-Moderne, der Vor-Industrialisierung, der Vor-Avantgarde. Ralf Kerbach findet es faszinierend, dass sich über das Haus die Jetztzeit mit der Vergangenheit verbindet.

Der Dachstuhl ist noch intakt, nur hier und da müssen Balken verstärkt werden. „Wenn der auch noch zu machen gewesen wäre, dann hätte ich das hier nicht angepackt.“ War er nicht, und so wird es vielleicht schon im kommenden Jahr einen riesigen Raum vom Erdgeschoss bis unter den First geben. Hier wird Ralf Kerbach malen, hier wird es einen Bereich zum Zeichnen geben, hier wird er das Licht der Landschaft ins Haus lassen.

Bis dahin gibt es allerdings noch jede Menge Arbeit. „Ich habe ein Budget und kann nicht alles von Handwerkern machen lassen.“ Deshalb ist der Professor jetzt auch Dachdecker, Maurer, Zimmermann – Schutträumer war er schon die ganze Zeit seit März hindurch. Eigentlich hat er ja noch sechs Jahre Zeit, bis er fertig sein muss. Dann wird er emeritiert. Aber Ralf Kerbach will schon im kommenden Jahr Teile seines Hofes in Besitz nehmen.