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Ackern mit dem „Wendestock“

Ein motorisierter Oldtimer-Pflug ist die große Attraktion beim Landtechnik-Treffen in Lampertswalde.

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© Klaus-Dieter Brühl

Von Manfred Müller

Lampertswalde. Es erinnert ein bisschen ans Dumperfahren, als Andi Günther den „Wendestock“ in Bewegung setzt. Bei dem fast 100 Jahre alten Motorpflug befindet sich der Fahrersitz hinten über dem Stützrad, was das Wenden zu einem halsbrecherischen Manöver macht. Günther liegt dabei in der Kurve wie ein Motorrad-Pilot. Aber er kippt nicht um und zieht seine Furchen schnurgerade – dicht umlagert von mehreren Hundert Schaulustigen.

Vater und Sohn: Horst (li.) und Hartmut Loose stehen vor ihrem gut gepflegten Traktor der Marke „Pionier“, der 1954 im Schlepperwerk Nordhausen hergestellt wurde – damit ist der Traktor genauso alt wie Hartmut Loose.
Vater und Sohn: Horst (li.) und Hartmut Loose stehen vor ihrem gut gepflegten Traktor der Marke „Pionier“, der 1954 im Schlepperwerk Nordhausen hergestellt wurde – damit ist der Traktor genauso alt wie Hartmut Loose. © Klaus-Dieter Brühl

Landtechnik-Treffen in Lampertswalde

Ein "Pionier" mit "Breitreifen" beim Traktorentreffen in Lampertswalde? Nein, es sind so genannte Moor-Räder, um das Gewicht des Treckers auf feuchten Böden besser zu verteilen und so ein Einsinken zu verhindern.
Ein "Pionier" mit "Breitreifen" beim Traktorentreffen in Lampertswalde? Nein, es sind so genannte Moor-Räder, um das Gewicht des Treckers auf feuchten Böden besser zu verteilen und so ein Einsinken zu verhindern.
Beim Traktorentreffen spielen Kinder auf einem Oldtimer-Traktor - und haben sichtlich Spaß.
Beim Traktorentreffen spielen Kinder auf einem Oldtimer-Traktor - und haben sichtlich Spaß.
Schaupflügen mit dem einzigen noch betriebsfähigen Motorpflug der Firma Stock. Das Gerät hat eine sehr spezielle Lenkung. Gelenkt wird das dreirädrige Gefährt mit dem Hinterrad.
Schaupflügen mit dem einzigen noch betriebsfähigen Motorpflug der Firma Stock. Das Gerät hat eine sehr spezielle Lenkung. Gelenkt wird das dreirädrige Gefährt mit dem Hinterrad.
Alles wurde liebevoll restauriert.
Alles wurde liebevoll restauriert.
Er ist einer der wenigen, der das seltene Ackergerät fahren kann: Dipl.-Ing. Andi Günther von der TU Dresden.
Er ist einer der wenigen, der das seltene Ackergerät fahren kann: Dipl.-Ing. Andi Günther von der TU Dresden.
Dipl.-Ing. Andi Günther zieht eine saubere Furche mit dem alten Pflug.
Dipl.-Ing. Andi Günther zieht eine saubere Furche mit dem alten Pflug.
Ist die Furche gut gezogen? Die erfahrenen Landwirte sind schauen skeptisch.
Ist die Furche gut gezogen? Die erfahrenen Landwirte sind schauen skeptisch.

Der Motorpflug der Firma Stock war am Sonntag der Hingucker beim Lampertswalder Pionier- und Oldtimertreffen. Darüber hinaus gab es auf dem Gelände der Sachsenland Agrar GmbH an die 150 historische Landmaschinen zu bestaunen, darunter viele Pionier-Traktoren, die in den 1950ern und 1960ern auf den ostdeutschen Feldern allgegenwärtig waren. „Traktoren-Treffen gibt es ja mittlerweile en masse“, sagt Sachsenland-Geschäftsführer Gerald Müller. „Da muss man sich thematisch schon ein bisschen spezialisieren.“

Der „Pionier“ war der erste Traktortyp aus DDR-Produktion. Die Null-Serie wurde 1948 bei Horch in Zwickau zusammengeschraubt, ab 1950 übernahm das Schlepperwerk Nordhausen. Er galt als leistungsfähiger Zugtraktor – bis er nach und nach von stärkeren sowjetischen Modellen verdrängt wurde. „In der DDR durften ja keine Traktoren über 90 PS gebaut werden. Das behielten sich die Russen vor“, erklärt Horst Loose. Der Boritzer hat mittlerweile zehn Traktor-Oldies im Schuppen stehen. „Bis auf den ‚Pionier‘ alles Vorkriegsmodelle“, erzählt er stolz. Darunter ein Lanz Bulldog, der über 50 Jahre in der eigenen Wirtschaft seinen Dienst tat. Den habe er 1959 aus Rodewisch im Vogtland geholt und sei damit siebeneinhalb Stunden nach Hause getuckert. Zum Teil auf der Autobahn, was damals noch erlaubt war. Der „Pionier“ hingegen hat die Fahrt von Boritz nach Lampertswalde bequem auf einem Transporter angetreten. „Das war dann doch zu weit“, sagt der Traktoren-Fan. Aber Strecken bis zu 30 Kilometer nehme er schon noch auf sich.

Das Lampertswalder Agrartechnik-Treffen verzichtet im Wesentlichen auf Spaßwettbewerbe wie Traktor-Pulling, Wettpflügen oder Beschleunigungsrennen. „Wir wollen dem ‚Wendestock‘ nicht die Schau stehlen“, sagt Initiator Gerald Müller. „Außerdem stören solche Wettkämpfe nur die Festlichkeit.“ In Lampertswalde sollen die Besucher mit den Besitzern der Landtechnik-Oldies ins Gespräch kommen, Erfahrungen austauschen und ein paar Schrauber-Tipps mitnehmen. Mehr als 20 Vereine, Klubs und Freundeskreise hatten ihre Technik aufs Sachsenland-Gelände gestellt, darunter Ostrauer, Wittenberger und sogar Gubener. Das deutschlandweit einzigartige „Wendestock“-Original entdeckte Gerald Müller bei einem der Landtechniktreffen des Dresdner Vereins „Freunde Historischer Landtechnik“, zu dem auch Andi Günther gehört. „Die Maschine ist Eigentum der TU Dresden“, erklärt er, „und meines Wissens die Einzige, die noch fährt.“

Der Konstrukteur Robert Stock kam übrigens gar nicht aus der Agrartechnik-Sparte, sondern aus der Telefonbranche. Dennoch setzte sich mit dem sogenannten Stock-Pflug die Motorisierung der Landwirtschaft durch. Im Jahr 1911 startete in Berlin die Motorpflugproduktion, mit der Stock schon bald Marktführer im Deutschen Reich wurde. Allerdings konnte sich sein Pflug in der Landwirtschaft gegenüber dem Schlepppflug nicht durchsetzen. „Das Steuern funktioniert im Prinzip ganz ähnlich wie bei einem Pferdegespann“, sagt Andi Günther. Als ein Schaustück deutscher Ingenieurskunst stand er bereits zu DDR-Zeiten vor dem Hauptgebäude der Dresdner Uni. Vor drei Jahren wurde er in Ungarn wieder originalgetreu aufgebaut und kann nun sogar zum Schaupflügen eingesetzt werden. „Aber das haben wir bisher nur drei- oder viermal gemacht“, sagt Andi Günther. „So ein Stück sollte man nicht über Gebühr beanspruchen.“