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Achterbahn im Kraftwerk

Sturmtief Egon, Winterwinde, Kälte – all das fordert viel Flexibilität von den Braunkohle-Kraftwerken.

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© Wolfgang Wittchen

Wie spürbar sind die dauerhaften Minusgrade für die Energiebilanz des Braunkohle-Kraftwerks der Lausitz Energie Bergbau AG (Leag)? Kraftwerksleiter Thomas Hörtinger spricht über das Hoch- und Runterfahren des Kraftwerks und wie das eigentlich geht.

Kraftwerksleiter Thomas Hörtinger
Kraftwerksleiter Thomas Hörtinger © Wolfgang Wittchen

Herr Hörtinger, momentan werden Heizgeräte eingeschaltet, und viel

Licht brauchen die Menschen zurzeit außerdem. Läuft das Kraftwerk auf Hochtouren?

An vielen Tagen ist es so. Anfang der dritten Januarwoche waren wir beispielsweise mit allen Blöcken und der Dampferzeugung, also der Fernwärmeversorgung, am Netz und haben jedes mögliche Megawatt geliefert. Es ist kalt, und wir haben eine Jahreszeit, die von vielen grauen Stunden geprägt ist. Darum ist die Einspeisung aus Photovoltaik-anlagen derzeit verschwindend gering. Wind ist ein anders Thema. Der kann natürlich Strom liefern oder eben nicht.

Wenn er es doch tut, wie zuletzt bei Sturmtief Egon um den 14. Januar herum, dann haben erneuerbare Energien Vorfahrt, und die Kohlekraftwerke müssen ihre Leistung drosseln. Was hieß das für die Leag in den stürmischen Tagen konkret?

Am 23. Dezember liefen die Leag-Kraftwerke auf vollen Touren. Dann kam das Sturmtief. Wir haben darum zuerst einen Block in Boxberg, einen weiteren in Lippendorf südlich von Leipzig vom Netz genommen. In Boxberg und Jänschwalde wurden insgesamt sieben Kessel der 500-Megawatt-Blöcke außer Betrieb gesetzt. In Schwarze Pumpe lief das Kraftwerk auf Mindestlast. Wir mussten ja bei alledem die Fernwärme- und Warmwasserversorgung für Cottbus, Spremberg, Hoyerswerda, Weißwasser, Boxberg und Leipzig aufrechterhalten, dazu die Prozessdampfversorgung für das Industriegebiet Schwarze Pumpe. Insgesamt haben wir unsere Leistung von 100 Prozent auf 35 Prozent zurückgefahren.

Können Sie das für das Kraftwerk in Boxberg mal in versorgte Haushalte umrechnen?

Das Kraftwerk Boxberg hat eine installierte Leistung von 2 575 Megawatt. Damit lassen sich rein rechnerisch etwa sechs Millionen Haushalte versorgen. Hier haben wir die Leistung auf etwa 38 Prozent herabgesetzt. Das wären in etwa noch 2,28 Millionen Haushalte – auch rein rechnerisch.

Wie schnell können Sie die Leistung in den Kraftwerken hochfahren oder reduzieren?

Wir können inklusive der Anlagen in Lippendorf rund 9 000 Megawatt zur Stromerzeugung bereitstellen. Innerhalb von 15 bis 20 Minuten ist es möglich, die Leistung um bis zu 2 000 Megawatt hoch- oder herunterzufahren. Das geht allerdings nicht beliebig oft, weil auch solch großen Anlagen technische Grenzen gesetzt sind. Wir können aber Schwankungen im Netz ausregeln, die durch schwankende Windeinspeisung hervorgerufen werden. Dafür hat der Netzbetreiber bei den Kraftwerksbetreibern eine sogenannte Regelreserve vertraglich gebunden. Das Ausregeln funktioniert aber nur, wenn alle Blöcke am Netz sind. Wenn wir einen Block zwischenzeitlich ganz vom Netz nehmen, was immer wieder mal gefordert wird, dann verändern sich die Zeitfenster.

Das Drosseln oder Hochfahren von Leistung – wie machen Sie das technisch?

Das läuft hoch automatisiert – bei einer Reduzierung der Kraftwerksleistung wird die Kohlezufuhr verringert, und wir nehmen Dampf von den Turbinen. Übrigens auch im Sommer. Im August 2016 gab es fast keinen Wind, dafür sehr viel Sonne. Auch so etwas müssen wir ausgleichen.

Netzschwankungen gab es früher auch schon. Doch durch den Ausbau der erneuerbaren Energien haben sie sehr zugenommen.

Und die Erneuerbaren stehen häufig in Zusammenhang mit dem Wetter, also mit Wind, Sonne, Nebel und Wolken. Wie erfahren Sie, ob mehr oder weniger Strom benötigt wird?

Es gibt Sieben-Tages-Prognosen der Netzbetreiber. Wirklich interessant wird es für uns aber ab einem Tag vorher. Ab 12 Uhr verkaufen die Stromerzeuger ihre bis dahin noch nicht verkaufte Kraftwerksleistung an der Strombörse. Gegen 14 Uhr übergeben wir, aber auch andere, unsere Fahrpläne, also wie wir die Anlagen betreiben werden, an die Netzbetreiber. Die machen dann eine Vorschau dazu, wie die Netze ausgelastet sind. Gegen 16 Uhr kommt die Information dazu, wie die Kraftwerksleistung am nächsten Tag aussehen soll. Dann werden bis 21 Uhr die Lastflüsse der Stromleitungen berechnet. Es folgen weitere Prognosen. Der Netzbetreiber ist für eine stabile Stromverteilung verantwortlich. Er kann auch weniger Strom als angekündigt abnehmen, wenn beispielsweise plötzlich sehr viel Windenergie im Netz ist. Brisant ist, dass sich das Wetter – besonders mit Blick auf den Wind – schlagartig ändern kann. Wind kann innerhalb von einer Stunde komplett zusammenbrechen. Dem Kunden, der daheim seinen Strom aus der Steckdose nutzen will, ist das aber egal. Er hat eine Leistung bestellt, und die möchte er haben.

Helfen Ihnen denn bessere Wettervorhersagen?

Die Prognosen sind nicht unbedingt besser geworden. Sie sind tiefgründiger, aber nicht verlässlicher. Gerade Wind ist eine sehr instabile Angelegenheit.

Das ständige Hoch- und Runterfahren von Blöcken beziehungsweise Dampfkesseln ist mittlerweile Kraftwerksalltag. Was macht das mit der Technik?

Es gibt natürlich Verschleiß. Aber die Technik ist dafür ausgelegt, in gewissem Umfang hoch- und runterzufahren. Allerdings fließt dort seit einigen Jahren schon verstärkt wirtschaftliche Kraft hinein, und wir müssen bei der Instandhaltung entsprechend Vorsorge treffen. Das erwarten wir aber auch von anderen Energieversorgern.

Was bedeutet das Auf und Ab in der Leistung denn für Ihre Mitarbeiter?

Das ist schon eine andere Anstrengung. Durch die Flexibilität wird der Aufwand für die Bedienung und Kontrolle der Anlagen höher und intensiver.

Das Gespräch führte Irmela Hennig.