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Acht Jahre für Löbauer Messerstecher

Der 21-Jährige kommt für Totschlag relativ glimpflich davon. Der Staatsanwalt wollte viel mehr.

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© Danilo Dittrich

Von Frank Thümmler

Obwohl die Tat schnell aufgeklärt, der Täter gefasst und geständig war, obwohl das Verbrechen außergewöhnlich brutal war – das richtige Urteil zu finden, war alles andere als einfach. Das Landgericht Görlitz verurteilte gestern den 21-jährigen Dominic Köhler aus Hochkirch zu sieben Jahren und neun Monaten Freiheitsentzug wegen Totschlags. Köhler hatte im August vergangenen Jahres einen Mann in Löbau in der Wohnung eines gemeinsamen Trinkkumpans getötet. Er hatte erst mit Fäusten und Tritten so auf ihn eingewirkt, dass der Mann schon schwerstverletzt am Boden lag und ihn dann mit Messerstichen in den Hals getötet. Richter Thomas Fresemann sprach in seiner Urteilsbegründung von einer „Gewaltorgie“ – und blieb trotzdem weit unter der Forderung von Staatsanwalt Sebastian Matthieu zurück, der eine lebenslange Haftstrafe für Köhler gefordert hatte.

Hier, in diesem Haus an der Löbauer Breitscheidstraße, geschah im vergangenen August die entsetzliche Tat.
Hier, in diesem Haus an der Löbauer Breitscheidstraße, geschah im vergangenen August die entsetzliche Tat. © Rafael Sampedro

Entscheidend für das Strafmaß in diesem Verfahren war die Bewertung des Gutachtens des psychiatrischen Sachverständigen: Wird der Angeklagte – zum Tatzeitpunkt 20 Jahre und acht Monate alt und damit nur vier Monate vor der letzten Altersschranke von 21 Jahren – nach Jugendstrafrecht abgeurteilt oder nicht? Juristisch gesehen sind Personen zwischen 18 und 21 Jahren „Heranwachsende“. Für sie kann das Erwachsenenstrafrecht mit härteren Strafen angewendet werden oder eben das mildere Jugendstrafrecht, wenn die Persönlichkeit des Täters noch der eines Jugendlichen gleichsteht, er, vereinfacht gesagt, in seiner Entwicklung noch etwas zurück liegt.

Der psychiatrische Sachverständige hatte in seinem 134 Seiten umfassenden, wissenschaftlichen Gutachten vor allem verneint, dass der Angeklagte noch Entwicklungspotenzial besitze, sich also positiv entwickeln könne. Er hatte vielmehr eine „dissoziale Persönlichkeitsstörung“ festgestellt. Der Staatsanwalt zog anders als später das Gericht daraus den Schluss, dass Jugendstrafrecht in diesem Fall nicht mehr angewendet werden kann.

Außerdem führte er viele Gründe für eine hohe Strafe für den Angeklagten an: Köhler habe das Opfer praktisch zweimal getötet. Einmal mit Schlägen und Tritten. Dann habe er sich erkundigt, wo ein Messer sei, es in der Küche geholt und dann auf das wehrlose Opfer eingestochen. Matthieu führte mehrere Mordmerkmale auf, denen Köhler zumindest nahegekommen sei: Mordlust, Habgier, Grausamkeit, Heimtücke, niedere Beweggründe. „Die Schuld steht deshalb der eines Mörders gleich. Das ist eine schwere Körperverletzung, gefolgt von einem besonders schweren Fall des Totschlags“, erklärte er. Belastend für den Angeklagten sei außerdem, dass längere Gefängnisaufenthalte nach Jugendstrafen offensichtlich ohne Wirkung geblieben waren, dass es seit 2008 eine durchgängige kriminelle Karriere gebe und dass ihn der psychiatrische Sachverständige auch als „Hochrisikoperson“ für weitere Taten bezeichnet hatte. „Wir haben es hier mit einem Menschen mit psychopathischen Zügen zu tun. Und, die Frage sei mit Hinblick auf das Opfer gestattet, was ist eigentlich ein Menschenleben wert?“

Verteidiger Hagen Richter folgte dieser Einschätzung des Staatsanwalts und in vielen Punkten auch dem psychiatrischen Gutachten nicht. Er forderte die Anwendung von Jugendstrafrecht, weil sich der Angeklagte in vielen Beispielen, die Richter aufführte, jugend- und nicht erwachsenentypisch verhalten habe. Und weil es eben doch Entwicklungspotenzial gebe, zum Beispiel hinsichtlich der Arbeit, der er in der Justizvollzugsanstalt nachgehe. Außerdem sei in dem psychiatrischen Gutachten ein Punkt viel zu kurz gekommen: „Was hat diesen exzessiven Gewaltausbruch ausgelöst?“ Laut Richter findet sich die Erklärung seines Mandanten in dem Gutachten nicht wieder. Es sei unbestritten, dass Köhler in seiner Kindheit von seinem Vater sexuell missbraucht wurde. Das habe sogar seine Mutter vor Gericht bestätigt. Und Köhler habe ausgesagt, dass er seinen Vater vor sich gesehen habe, als er von dem (homosexuellen) Opfer am Bein angefasst wurde. Er habe ihn erst angebrüllt und beim zweiten Mal zugeschlagen. „Danach war ich wie im Blutrausch. Ich habe immer meinen Vater vor mir gesehen und konnte nicht mehr aufhören“, habe Köhler ausgesagt. Das spreche für eine Affekthandlung und verminderte Schuldfähigkeit, sagte Richter, der dem Gericht keinen Vorschlag einer Strafe nannte.

Das Gericht unter Vorsitz von Thomas Fresemann entschied sich dafür, Jugendstrafrecht anzuwenden. Begründung: Die Ergebnisse des Gutachtens seien nur ein Teil der Dinge, die darüber entscheiden. Es komme auf eine „Gesamtabwägung“ aller Lebensumstände des Angeklagten an. Und da sei das Gericht eindeutig zu dem Ergebnis gekommen, dass der Angeklagte einem Jugendlichen gleichsteht. Fresemann nannte als Beispiele das Fehlen eines eigenen Haushalts (Köhler wohnte bei seiner Mutter), die enge Beziehung zu seiner Mutter, die bestimmender Faktor sei, und die kurzfristigen Beziehungen, bei denen vor allem sexuelle Dinge im Vordergrund stehen – alles jugendtypisch. Die höchste mögliche Jugendstrafe sind zehn Jahre Freiheitsentzug, an die das Gericht recht nah heranging, zumal es keine verminderte Schuldfähigkeit (also „keine Affekthandlung“) sah.

Köhler könnte bei guter Führung in gut drei Jahren schon wieder auf freiem Fuß sein. Ob die Staatsanwaltschaft Revision einlegt, war gestern noch nicht klar. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.