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189 Euro fürs Nichtstun?

Ein selbstständiger Monteur steht wegen Erpressung vor Gericht. Für die Tat könnte aber auch sein Auftraggeber verantwortlich sein.

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© dpa

Von Alexander Schneider

Ein neuer Fall von Abzocke vor der Wohnungstür beschäftigt derzeit das Amtsgericht Dresden. Angeklagt ist ein 23-jähriger selbstständiger Schlüsseldienst-Monteur, der von einer Kundin allein für seine Anfahrt 189,21 Euro kassiert hatte. Er soll die Frau erpresst und sich auch noch als Kripo-Beamter ausgegeben haben. Doch die Sache ist nicht ganz einfach.

Restaurantfachfrau Veronika P. (20) hatte laut Anklage für einen Schlüsseldienst 189,21 Euro gezahlt, obwohl sie dessen Leistung gar nicht in Anspruch nehmen musste. Die Frau hatte sich an einem Freitagabend im März 2013 aus ihrer Wohnung gesperrt. Nachdem sie den Schlüsseldienst alarmiert hatte, meldete sich ihr Freund, er habe den Zweitschlüssel gefunden. Kaum fünf Minuten nach dem ersten Anruf beim Schlüsseldienst sagte Veronika P. den Auftrag wieder ab – doch das wurde ihr verwehrt. Sie habe vor der Wohnung auf den Monteur zu warten, andernfalls werde sie wegen „Handwerkerbetruges“ angezeigt, sagte die Stimme am Telefon. Außerdem soll der Mann am Telefon Veronika P. gedroht haben: Man werde ihre Wohnung öffnen und ihren Fernseher herausholen, falls sie die Rechnung nicht zahle, heißt es in der Anklage.

Monteur verlangte 300 Euro für die Anfahrt

Also wartete die Frau auf den Monteur. Natürlich gab es Streit. „Ich rechnete damit, eine Anfahrtspauschale von vielleicht 30 Euro bezahlen zu müssen“, sagte Veronika P. Doch der Mann habe erst weit über 300 Euro gefordert, dann habe man sich auf 189,12 Euro geeinigt. „Das war alles, was ich bei mir hatte.“ Erst danach ging sie zur Polizei und zeigte den Monteur an.

Das Gericht hatte Daniel T. aus Köln per Strafbefehl wegen Erpressung und Amtsanmaßung zu einer Geldstrafe von 6.500 Euro verurteilt. Dagegen hatte er Einspruch eingelegt. Im gestrigen Prozess sagte er, er sei als Selbstständiger unter anderem für die „Deutsche Schlüsseldienst-Zentrale“ in Düsseldorf tätig. Von dieser bekomme er seine Aufträge per SMS, die Düsseldorfer Zentrale erhalte 60 Prozent seiner Einnahmen. Das Unternehmen schule Monteure, betreibe ein Call-Center und schalte bundesweit Anzeigen – immer gezielt in den Städten, in denen sich Monteure wie er gerade aufhielten. Die Telefongespräche mit Veronika P. habe er nicht geführt, und er habe sich auch nicht als Polizist ausgegeben, sagte T.

Einmal losgeschickt, müsse er jedoch zum Kunden fahren und diesen – wie er findet: hohen – Betrag einfordern, auch wenn sich wie hier der Schlüssel wieder eingefunden habe. „Ich hätte in der Zeit ja auch einen anderen Auftrag erledigen können“, sagte er.

Schlüsseldienst hinter 0800er-Nummer

Wer wie Veronika P. bei der Internet-Suche per Handy Begriffe wie „Notschlüsseldienst“ und „Dresden“ eingibt, erhält oft Firmen als Treffer, die bundesweit agieren. Die 20-Jährige hatte die 0800er-Nummer gewählt und landete im Call-Center der Düsseldorfer Firma. Sie glaubte, einen Dresdner Dienst angerufen zu haben – weit gefehlt.

Es ist ein perfides System, mit dem zwielichtige Firmen bundesweit auf Kundenfang gehen, um Notlagen von Menschen auszunutzen. Dubiose Schlüsseldienste fallen immer wieder mit überteuerten Rechnungen auf. Erst im August stand ein Monteur wegen Wuchers vor dem Amtsgericht, weil er Hunderte Euro zu viel kassiert haben soll. Doch mit dem Wucher-Vorwurf ist solchen Diensten kaum beizukommen. Sie lassen sich vor ihrem Einsatz vom Kunden den Auftrag quittieren. Im Hintergrund agierte auch in diesem Fall die Deutsche Schlüsseldienst-Zentrale. Das Verfahren läuft noch. Jener Angeklagte hat denselben Verteidiger wie nun Daniel T. – der Anwalt sagte, er sei für die Schlüsseldienstzentrale tätig. Auch der Prozess gegen Daniel T. wird fortgesetzt. Richter Jochen Meißner will noch Zeugen hören.