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Abschied von Freunden

Auch eine Bürgerin aus der Neißeaue engagiert sich für Flüchtlinge in Niesky. Dort stehen jedoch Angebote vor dem Aus.

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© André Schulze

Von Alexander Kempf

Janette Gisa kann sich noch gut an ihren Besuch in der Hermann-Klenke-Straße erinnern. Eine afghanische Familie hatte sie eingeladen. „Da war ich der Stargast“, sagt sie mit strahlenden Augen. Die Gastfreundschaft der Flüchtlinge beeindruckt die Frau aus Neißeaue bis heute. Auch wenn die afghanische Familie mit den Händen isst, haben sie ihr als Gast Besteck angeboten und einen Stuhl, damit sie nicht mit auf dem Boden sitzen muss. Dabei wollte Janette Gisa gar keine Sonderbehandlung und saß schnell mit auf dem Fußboden. Berührungsängste sind ihr fremd. Sonst hätte sie in diesem Jahr wohl auch nicht regelmäßig das interkulturelle Café in der Gartenstraße besucht, das Nieskyer und Flüchtlinge zusammenführen will.

Schon vor Weihnachten sind immer wieder Asylbewerber umgezogen. Den Herrnhuter Stern über der Eingangstür hat die Pfarrerfamilie von Dressler den Flüchtlingen gestiftet.
Schon vor Weihnachten sind immer wieder Asylbewerber umgezogen. Den Herrnhuter Stern über der Eingangstür hat die Pfarrerfamilie von Dressler den Flüchtlingen gestiftet. © André Schulze

Das ist dem Projekt auch gelungen, versichert Saskia Kroll vom Jugendring Oberlausitz. Jede Woche hätten zwischen 20 und 50 Menschen das Angebot genutzt. „Ich finde, das rechtfertigt eine Öffnung“, sagt Saskia Kroll. Trotzdem steht das zeitlich befristete Angebot nach einem halben Jahr vor dem Aus und könne nicht fortgeführt werden. Der Jugendring Oberlausitz hat sich um eine Anschlussförderung bemüht. Darüber befinden die Sächsische Aufbaubank und das Sozialministerium. Erste Wahl ist das Projekt in Niesky offenbar nicht. Denn während andere Projekte im Landkreis Görlitz schon eine Zusage erhalten haben sollen, warten die Nieskyer weiter auf Post aus Dresden. Entsprechend groß ist die Enttäuschung bei den Engagierten. „Wir haben eigentlich damit gerechnet, dass es weitergeht“, so Jens Zschernig vom Jugendring Oberlausitz.

Im neuen Jahr will er alle Hintergründe erfragen. Noch gibt es eine kleine Hoffnung, dass das Café im Nachrückverfahren berücksichtigt werden könnte. Nicht nur Saskia Kroll wäre das ein Anliegen. „Für viele Flüchtlinge ist das Café ein Ort gewesen, sich in Gesellschaft zu begeben“, sagt die junge Frau. Denn in Niesky gebe es keine vergleichbaren Bars oder Cafés. In den Räumen des Jugendzentrums haben die jungen Männer gerne gekickert und die Frauen gebastelt. Christine Scheller aus See hat den Flüchtlingsfrauen zum Beispiel traditionelle Handarbeiten beigebracht.

Janette Gisa bastelte mit ihnen und den Kindern noch am Mittwoch vergangener Woche Weihnachtssterne. Da fehlte schon eine Familie aus Eritrea. Denn bis Ende Januar werden alle Bewohner der Unterkunft in der Klenke-Straße auf andere Heime im Landkreis Görlitz verteilt oder beziehen eine eigene Wohnung. Ob der noch nicht eingegangene Förderbescheid für das Nieskyer Begegnungscafé im Zusammenhang mit der Schließung des Heimes in der Klenke-Straße steht, vermag derzeit niemand zu sagen. Mit dem Heim in der Fichtestraße, in dem ausschließlich Männer untergebracht sind, werden in Niesky auch weiterhin Flüchtlinge leben. Denn anders als bei dem zentralen Standort im Stadtzentrum plant der Landkreis Görlitz mit der Einrichtung am Stadtrand langfristig.

Begründet hat Dezernent Werner Genau die Schließung des Asylbewerberheimes in der Klenke-Straße mit den gesunkenen Flüchtlingszahlen der vergangenen Monate. Pfarrer Axel von Dressler empfindet die Entscheidung dennoch genau wie das drohende Aus für das Nieskyer Begegnungscafé als einen Schlag ins Gesicht für alle ehrenamtlichen Helfer. „Die Klenke-Straße wird mir fehlen. Das ist ein Stück gelungene Integration“, sagt er. Denn wie andere verbindet er das Heim mit bekannten Gesichtern. Viele Flüchtlinge nennt er Freunde, hat sie zu Hause begrüßt und hält via Smartphone auch dann noch Kontakt zu ihnen, wenn sie schon nicht mehr in Niesky leben. Das hat ihm bei den Flüchtlingen viel Respekt und den Spitznamen „Papa Axel“ eingebracht. Mit einem jungen Mann fühlt sich der Pfarrer sogar so sehr verbunden, dass er von seinem syrischen Sohn spricht.

Bis zu seinem Herzinfarkt Ende vergangenen Jahres hat Axel von Dressler sogar seine Predigten in der Kirche der Brüdergemeine am Ende auf Arabisch zusammengefasst. Er, Janette Gisa und viele andere sind der Grund dafür, dass sich viele Flüchtlinge in Niesky sehr willkommen gefühlt haben. Mancher, der schon nach Löbau umziehen musste, hat am Mittwoch vor Weihnachten erzählt, dass er gerne nach Niesky zurückkehren würde. In den vergangenen Monaten haben die Flüchtlinge nicht nur ihre deutschen Freunde, sondern auch einander schätzen gelernt.

Sayed Araf Esmatullah etwa, ein junger Mann aus Afghanistan, hängt an Niesky. Hier ist er bisher viermal in der Woche zum Thaiboxen gegangen und hat in den vergangenen zehn Monaten Anschluss gefunden. Nun soll er nach Görlitz umziehen. Er hat sich schon erkundigt, was eine Monatskarte für den Bus nach Niesky kosten würde, um weiter in der Kleinstadt trainieren zu können. Doch das Ticket ist für ihn nicht erschwinglich und am Abend fahren ohnehin keine Busse mehr. „Ich mag Niesky“, sagt der 18-Jährige und bedauert seinen Abschied. Der Sport, die netten Leute und die ruhige Atmosphäre würden ihm in Zukunft fehlen. Gerade die Weihnachtszeit mit der Schokolade und den Feiern habe ihm gut gefallen, auch wenn er kein Christ ist. „Wenn die Leute hier Weihnachten feiern, dann machen wir das auch“, sagt er.

Doch durch die Schließung des Asylbewerberheimes in der Klenke-Straße haben viele Bewohner Weihnachten schon andernorts verbracht. Pfarrer Axel von Dressler hat einige Flüchtlinge zu sich nach Hause eingeladen. Auf Dauer, das ist ihm bewusst, will und sollte niemand in einem Heim leben. Janette Gisa hat beim Besuch in der Klenke-Straße festgestellt, wie spartanisch dort alles eingerichtet ist. „Es ist alles sehr sauber gewesen“, sagt sie. Aber eben ernüchternd eng.