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Abschied von CCCP

Leipzigs Chefcoach Christian Prokop ist jetzt nur noch Handball-Bundestrainer. Er geht mit Wehmut und Bierduschen.

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© WORBSER-Sportfotografie

Von Tino Meyer, Leipzig

Zwischen den Selfie-, Autogramm- und Interviewwünschen hört sich Christian Prokop plötzlich selbst reden – und muss lachen. Auf dem Videowürfel unterm Hallendach läuft der Rückblick auf die überaus rasante wie erfolgreiche Entwicklung der 2008 neu gegründeten Handball-Abteilung des SC DHfK Leipzig. „Zehn Jahre in zehn Minuten“ heißt der Titel des Erinnerungsstücks, das in der Oberliga beginnt und Prokop auch staunen lässt.

Erst die Bierdusche der Spieler, dann Konzertkarten für Helene Fischer: Der SC DHfK verabschiedet sich von Christian Prokop. Der verspricht wiederzukommen.
Erst die Bierdusche der Spieler, dann Konzertkarten für Helene Fischer: Der SC DHfK verabschiedet sich von Christian Prokop. Der verspricht wiederzukommen. © PICTURE POINT

In vier Jahren, die er für den Klub gearbeitet hat, kann man also nicht nur vom No-Name-Trainer zum obersten Handball-Lehrer des Landes aufsteigen, sondern außerdem ganz schön altern. Wobei die Kraft der Bilder nicht ganz fair ist. Im Sommer 2013, als Prokop beim damaligen Zweitligisten angefangen hat, wird er vorm Saisonstart beim Wildwasser-Rafting mit der Mannschaft gefilmt. Und nun, nach einer ereignisreichen Saison für ihn ebenso wie für den gesamten Verein und der 28:32-Niederlage gegen Berlin zum Abschluss, ist er einfach nur geschafft – und überwältigt.

Prokop hat selbst entschieden, die Herzensangelegenheit Leipzig zu beenden und nach den drei Monaten in Doppelfunktion ab sofort ausschließlich die deutsche Nationalmannschaft zu trainieren. „Weil ich von beiden Dingen auf längere Sicht nur eine Sache richtig machen kann“, sagt der 38-Jährige. Und weil er nicht weiß, ob man ihm den Bundestrainer-Posten in den nächsten Jahren noch einmal angeboten hätte. Doch gerade weil die öffentlich diskutierte Personalie seit Februar geklärt ist, hatten alle Beteiligten genügend Zeit, sich auf die Veränderungen einzustellen.

Am Tag des Abschieds ist das mit den Gefühlen aber so eine Sache. Die feuchten Augen bei Geschäftsführer Karsten Günther, der das ambitionierte Projekt Bundesliga in Leipzig 2008 ausgerufen und als Trainer begonnen hat, haben nicht nur etwas mit dem herumspritzenden Bier zu tun. Die stockend-krächzende Stimme bei Prokop wiederum nur auf dessen gewohnt engagierte Art am Spielfeldrand zurückzuführen, wäre genauso falsch.

Er ist nicht ihr Eigentum

„Meine Entscheidung fühlt sich richtig an, und trotzdem möchte ich noch einmal betonen, dass unheimlich viel Wehmut dabei ist. Hier verlasse ich etwas ganz Besonderes, was mich glücklich gemacht hat“, meint er und bekommt das am Sonnabend noch einmal exakt so zurückgespiegelt.

Egal, wen man in der mit mehr als 5 000 Zuschauern voll besetzten Halle fragt, sie schwärmen alle vom Chefcoach Christian Prokop, der sich in der Stadt nicht zuletzt einen Namen gemacht hat mit dem Kürzel CCCP, das einst für die Sowjetunion stand. Erst haben sie ihn schätzen gelernt und inzwischen liebgewonnen. So sehr, dass sie Prokop nicht ziehen lassen wollten – nicht mal zum Deutschen Handball-Bund, zumal er noch Vertrag bis 2021 hatte.

Doch dann kam die Einsicht. „Du bist nicht unser Eigentum“, haben sie dem gebürtigen Köthener beim Empfang des Wirtschaftsbeirats, einer der vielen kleinen und großen Abschiede in den vergangenen Tagen, gesagt. Auch da musste Prokop kräftig schlucken und erzählte von ganz viel Zusammenhalt und der Gabe, sich gegenseitig etwas zu gönnen. „Ich weiß, dass ich in Zukunft einiges vermissen werde“, meint Prokop schließlich, und auf die Frage nach dem prägendsten Erlebnis seiner vier Jahre entgegnet er: „Die Menschlichkeit in diesem Verein.“

Damit sowie Eigenschaften wie Teamwork, Leidenschaft, Ehrgeiz und Demut, die Geschäftsführer Günther nennt, hat es der SC DHfK tatsächlich weit gebracht: bis auf Platz acht in der stärksten Liga der Welt. „Die Spielzeit“, meint er, „war damit mal wieder die beste, die es je gab und macht viel Lust auf die nächste.“

Beim ersten Heimspiel am 31. August wird dann André Haber, Prokops bisheriger Assistent, an der Seitenlinie stehen, ehe am 1. Januar der momentane Frauen-Bundestrainer Michael Biegler übernimmt. „In dem rasanten Aufstieg liegt auch eine Gefahr. Aber die Jungs und der Verein sind so hungrig, da ist mir auch für die Zukunft nicht bange“, sagt Prokop, der den Weg aus nächster Nähe verfolgen wird. Er wohnt als Bundestrainer weiter in Leipzig.

An diesem Montag aber geht es für ihn nach Frankfurt/Main zur Nationalmannschaft, die Mittwoch in Portugal und Sonntag gegen die Schweiz in Bremen spielt. Erst dann ist für Prokop Urlaub, auf den auch er sich freut. „Vor allem bin ich den meiner Familie schuldig“, sagt er. Im vergangenen Jahr ist wenig Zeit geblieben.