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Abschied nach 25 Jahren

Am 6. Mai 1990 zog Christian Schramm ins Bautzener Rathaus ein. Nach vier Amtszeiten verabschiedet er sich nun in den Ruhestand.

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© Uwe Soeder

Miriam Schönbach

Ein bisschen Zeit ist noch bis zum nächsten offiziellen Termin. Christian Schramm (CDU) bleibt auf dem Bautzener Theaterplatz stehen. Die Fernsehleute vom Mitteldeutschen Rundfunk mit Kamera und Mikrofon eilen vorbei und vergewissern sich, ob der Oberbürgermeister nachher auch anwesend ist. „Gehen Sie schon mal vor. Ich bin gleich da“, antwortet er gelassen und genießt noch diesen ruhigeren Augenblick vor dem Trubel. Der 63-Jährige ist ihn gewöhnt. 25 Jahre stand er an der Spitze der Spreestadt.

25 Jahre Christian Schramm

Hoher Besuch: Bundeskanzlerin Angela Merkel trägt sich 2014 an Schramms Seite ins Goldene Buch der Stadt ein.
Hoher Besuch: Bundeskanzlerin Angela Merkel trägt sich 2014 an Schramms Seite ins Goldene Buch der Stadt ein.
Jährliche Pflicht: Stets zur Eröffnung des Wenzelsmarktes schnitt Christian Schramm den Stollen an.
Jährliche Pflicht: Stets zur Eröffnung des Wenzelsmarktes schnitt Christian Schramm den Stollen an.
Kommunaler Interessenvertreter: Schramm als Präsident des Deutschen Städte- und Gemeindebundes
Kommunaler Interessenvertreter: Schramm als Präsident des Deutschen Städte- und Gemeindebundes
Spaßiger Auftakt: Beim Theatersommer 2010 steckt Schramm zur Premiere in der Zwangsjacke.
Spaßiger Auftakt: Beim Theatersommer 2010 steckt Schramm zur Premiere in der Zwangsjacke.
Politischer Sieg: Nach den ersten freien Wahlen 1990 wurde Christian Schramm Bürgermeister in Bautzen.
Politischer Sieg: Nach den ersten freien Wahlen 1990 wurde Christian Schramm Bürgermeister in Bautzen.

Eine gute Stunde vorher saß er noch im Dienstzimmer des Bautzener Rathauses. „Ich habe mich als Kapitän eines Schiffs gesehen. Er ist genauso hilflos ohne seine Crew wie ein Rathauschef“, sagt er und wirft sich seinen Mantel über. Normalerweise geht er kurz vor 14 Uhr nicht mal einfach so durch seine Stadt. Aber an diesem Tag macht der Verwaltungschef mal eine Ausnahme. Auf dem Hauptmarkt baut der Himmelsbäcker aus Neukirch/Oberlausitz seinen Wochenmarktstand ab. Vor 26 Jahren, im Herbst des Jahres 1989, demonstrierten hier die Bautzener für ein besseres Land.

Auf den Wellen der Euphorie

Mittendrin steht damals Christian Schramm. Der Religionspädagoge gehört zu den Mitbegründern des Neuen Forums. Bald wird er Mitglied einer Gruppe zur demokratischen Aufarbeitung der Vorgänge um die MfS-Haftanstalt. Am 3. Dezember 1989 versammeln sich vor dem „Stasiknast“ Hunderte Menschen und fordern die Überprüfung aller Urteile. Der letzte Gefangene verlässt am 22. Dezember den Hochsicherheitstrakt. „Da war eine ganze Menge in Bewegung. Wir waren von positiven Emotionen getragen, es gab eine Offenheit und den Wunsch, alles zum Guten zu wenden“, sagt der dreifache Vater.

Auf den Wellen dieser Euphorie geht Schramm 1990 in den ersten freigewählten Stadtrat. Am 6. Mai 1990 wird er Bürgermeister, weil er sich der „Verantwortung stellen will“. Er ahnt damals nicht, dass er vier Amtszeiten später in der Reihe der dienstältesten Stadtoberhäupter stehen wird. Nur zwei Bürgermeister schlagen den gebürtigen Burgstädter in Bautzen. Hagen Schulz vom Museum Bautzen kennt die Vorgänger. „Konrad Eduard Löhr war zwischen 1858 und 1890 Bürgermeister. Er steht für die wirtschaftliche Entwicklung der Stadt. Seine Arbeit setzte Johannes Kaeubler bis 1918 fort. Viele seiner Entscheidungen prägen bis heute das Stadtbild.“

350 Millionen Euro flossen in die Altstadt

Beide Honoratioren finden sich im Museum in der Bürgermeistergalerie. Ein Portrait von Christian Schramm wird man dort auch in Zukunft vergeblich suchen. „Ich behalte gern die Füße auf der Erde. In den vergangenen 25 Jahren hatte ich nur eine geliehene Macht. Es gab auch manche Rückschläge“, sagt Christian Schramm. Auf der Reichenstraße grüßen ihn ein paar Passanten. Die sanierten Häuser der Altstadt stehen für den Aufbruch nach 1989. Nichts erinnert mehr an das Bautzen vor der Wende, als es Pläne gab, die marode, leergezogene Altstadt zu sprengen und durch eine sozialistische Neustadt zu ersetzen. Christian Schramm wird nachdenklich. „Seit 1990 sind ungefähr 350 Millionen Euro Fördermittel, städtisches Geld und private Investitionen in die Altstadt geflossen“, sagt er. Gute Kontakte zur Landesregierung seien dienlich in den Aufbaujahren gewesen. In der ersten Zeit hätte es wenig Bürokratie gegeben. Es gab „die große Freiheit, Dinge selbst zu entscheiden“. Dazu kommt bürgerschaftliches Engagement. Er holt einen Zettel aus der Tasche. Viele große Bauprojekte finden sich darauf, wie die Sanierung aller städtischen Schulen, des Museums und der Archive, der Bau des Kornmarktcenters, der Gewerbegebiete, der Schwimmhalle, des Stadions. Die Liste wirkt fast so, als würde seinem Nachfolger bloß das Verwalten bleiben.

Energisch steckt Christian Schramm den Zettel wieder ein. „Es bleiben genügend Herausforderungen. Die Entwicklung des Stausees bleibt zum Beispiel ein Thema genauso wie die Integration der Asylsuchenden. Der soziale Zusammenhalt ist wichtig in der Stadt“, mahnt er.

Mosaiksammlung kommt wieder zum Vorschein

Den Alltag nach 25 Jahren im Dienst muss Christian Schramm erst wieder lernen. „Ich habe ein spannendes Stück Geschichte erlebt. Jetzt möchte ich mir Zeit für Dinge nehmen, die zu kurz kamen“, sagt der Rathauschef. Vielleicht lässt er seine Band wiederaufleben, an seinen Gedichten will er weiterschreiben. Ehrenämter warten auf ihn. Die Familie bekommt ihren Anteil, auf den sie solange verzichten musste. Und seine Mosaiksammlung will er wieder hervorholen. Acht Hefte fehlen ihm noch aus der DDR-Comic-Serie. Er wird sie finden, wenn es keine offiziellen Termine mehr gibt.