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Abschied im Wald

Sylvia Jordan ist Trauerrednerin bei der Naturruhe Friedewald. Die Nachfrage nach einer Waldbestattung wächst. 90 Urnenbeisetzungen gab es bereits.

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© Norbert Millauer

Von Ines Scholze-Luft

Coswig. Sorgfältig legt Sylvia Jordan die Blumen zurecht. Ordnet sie auf den Tischen am Fenster, schmückt damit den Kranz aus Tannenzweigen, in dessen Mitte eine Urne steht. Mit einem Eichenblatt darauf – Symbol der Naturruhe Friedewald. Die 47-Jährige bereitet eine Beisetzung vor. Wie schon 90-mal seit der Eröffnung des Bestattungswaldes im Friedewald Coswig Ende September vergangenen Jahres.

Im Zelt am Bestattungswald ist alles für die Beisetzung vorbereitet.
Im Zelt am Bestattungswald ist alles für die Beisetzung vorbereitet. © Norbert Millauer

Alles soll seinen Platz haben. Sylvia Jordan bückt sich, richtet die Falten der schwarzen Decke unterm Tannenkranz. Die Kerzchen in den Teelichtformen sorgen selbst bei Tageslicht für feierliche Stimmung. Fast andächtig zündet die Trauerrednerin sie an. Eine Abschiedsfeier ohne Kerzen – für Jordan undenkbar. Ja, sie kennt Situationen, da sind Kerzen untersagt, wenn der Verstorbene nicht zur Kirchgemeinde gehörte. Dafür hat die gläubige Christin kein Verständnis. Sie weiß um die Wirkung dieses Lichts, weiß, dass es für viele Angehörige ein besonderes Zeichen des Trostes ist. Und erinnert sich an eine Beerdigung an einem späten, schon dunklen Novembernachmittag, als sie die Urnengrabstelle mit Kerzen erleuchtet hatten, dazu den letzten Abschnitt des Weges dorthin. Ein bewegender Moment, er hat sich auch ihr und ihrem Sohn eingeprägt.

Cornelius Jordan, Elftklässler an einer Fachoberschule für Wirtschaft, absolviert sein Pflichtpraktikum bei der Naturruhe Friedewald GmbH. Bei seiner Mutter und Naturruhe-Chef Daniel von Sachsen. Lernt und macht fast alles, was nötig ist im Bestattungswald. Das Zelt für die Abschiedsfeier sauber. Büroarbeit, Aktenpflege bis Telefondienst. Wege streuen. Das Grab vorbereiten – etwa 90 Zentimeter tief sind die Röhren, die der Erdbohrer am Bagger gräbt. Gut, wenn die Erde gefroren ist, da rutscht nichts nach, sagt der 18-Jährige.

Was ihn und Mutter Sylvia aber am meisten beschäftigt: die Menschen. Die kommen, weil sie einen Baum suchen für die Naturbestattung. Oder die erscheinen, weil jemand verstorben ist und es um die Abschiedsfeier geht – Sylvia Jordan meidet das Wort Trauerfeier. Trauer lässt sich nicht feiern, die müsse jeder für sich ertragen, durchleben. „Doch den Abschied, den machen wir schön“, sagt die lebhafte Frau mit den wachen Augen. Getreu ihrem Grundsatz: Jedes Leben war der Rede wert, auch wenn es nur ein paar Worte sind.

Manchem Hinterbliebenen muss sie das erklären. Kaputte Familienverhältnisse, Heimatlosigkeit, Entfremdung blockieren das Verständnis. Behutsam versucht sie dann, das Leben des Verstorbenen zu entdecken, auch unter Vorwürfen und Enttäuschungen. Aufmerksam sein, zuhören können, angemessene Sätze finden – das ist für sie Beruf und Berufung. Nichts beschönigen, auch weniger Angenehmes mit Respekt behandeln. Stärken finden, an Typisches erinnern. Zu dem nicht zuletzt das Lieblingslied zählt, von Gospel bis zur Filmmusik von Herr der Ringe. Oder „Aber bitte mit Sahne“, dazu für jeden Trauergast ein kleines Stück Kuchen – so der Wunsch der Verstorbenen.

Maßstab für alles ist Würde – die zeigt sich nicht nur in Bruchs Violinkonzert oder dem Geläut der Kreuzkirche. Da dürfen auch Kinder erste Erfahrungen mit dem Abschiednehmen machen. Sylvia Jordan plädiert dafür, sie mitzubringen zur Feier. Wenn sie denn wollen. Ihnen das zu verbieten, hält sie für falsch. Dann stellen sie sich vor, dass im Bestattungswald Furchtbares passiert, dass der Opa hier verbrannt wird, sagt die Dresdnerin.

Wer Kinder und ihre Fragen zulässt, erlebt, dass sie ein besonderes Gespür für die Situation haben. Eines wollte unbedingt hineinschauen in die Urne. Ein anderes war besorgt, dass Wildschweine die Oma ausgraben könnten. Und erst beruhigt, als es sich überzeugt hatte, dass sein Arm nicht bis zum Grund der Grabröhre reichte. Dann schaffen die Tiere das auch nicht.

Dass sie die Kinder mit viel Verständnis ins Abschiednehmen einbezieht, hat der dreifachen Mutter und Oma einer Enkelin schon viel Dank eingebracht.

Daraus schöpft sie Mut und Kraft. Ebenso aus der Familie, mit Ehemann und Eltern, und aus ihrem Glauben. Ich brauche schon mal jemanden, der mich in den Arm nimmt, wenn ich nach Hause komme, gibt sie unumwunden zu. Spricht vom trotz aller Liebe zum Beruf nötigen Abstand zur Arbeit. Die für sie besonders schwer ist, wenn jemand den Freitod gewählt hat oder wenn Kinder gehen müssen. Unter den im Friedewald Beigesetzten waren bisher Menschen zwischen 20 und 103 Jahren. Sogar einen Baum für Sternenkinder gibt es neuerdings. An der Eiche finden verstorbene Kleinstkinder ihre Ruhestätte, ebenfalls bei einer ganz individuellen Beisetzung.

Mitarbeiterin bei der Naturruhe ist sie eher zufällig geworden, nach einer Bewerbung bei Daniel von Sachsen, sagt die Diplomsozialpädagogin, die seit vier Jahren im Bestattungssektor arbeitet. Ein Jahr davon in Bremen, wo sie viel über Bestattungskultur gelernt hat. Was sie später gern mal im eigenen Bestattungshaus weiterführen möchte – ihr großer Traum.

Bis dahin wird sie noch so manchen auf seinem letzten Weg zum Baum im Wald begleiten und Trauernden zur Seite stehen. Wie bei der Abschiedsfeier, die in wenigen Minuten beginnt.

www.naturruhe-friedewald.de