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Abitur mit Hindernissen

Immer mehr Schüler wollen aufs Gymnasium. Nicht jedes Kind hält dem Druck stand. Nun gibt es Hilfe.

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© Sven Ellger

Von Nora Domschke

Zwei Kinder, beide lernen auf dem Gymnasium – ein Grund für Eltern, stolz auf den Nachwuchs zu sein. Bei Familie Möhring sah es zunächst gar nicht danach aus, dass Fritz und Lilli den Weg zum Abitur einschlagen. Zwar waren beide ganz gute Grundschüler – dennoch überlegten Cathleen Möhring und Hanno Schöne etwas länger, ob das für die hohen Anforderungen auf dem Gymnasium reicht. „Mit einem Notendurchschnitt von 2,0 in der vierten Klasse waren wir nicht sicher, ob es Sinn macht“, erzählt die 37-jährige Mutter.

Druck machen wollten die Eltern ihren Kindern aber nicht. „Wir sind locker an die Sache herangegangen, haben gemeinsam besprochen, welche weiterführende Schule infrage kommt“, erinnert sich Papa Hanno Schöne. „Und haben uns letztlich für den Wechsel auf das Gymnasium entschieden.“ Damit nahmen die Eltern auch in Kauf, dass Fritz oder Lilli später noch einmal auf die Oberschule wechseln müssen, sollten die Leistungen nicht stimmen.

Für Cathleen Möhring und Hanno Schöne ist das Abitur auf dem ersten Bildungsweg kein Muss. Vielleicht auch deshalb, weil sie als Bankkauffrau und er als Prüfingenieur diesen Abschluss selbst erst später gemacht haben. Dennoch sei der gesellschaftliche Druck sehr groß, zunehmend auch für Kinder. Mama Cathleen erinnert sich an ein Erlebnis mit ihrer Tochter Lilli: „An einem Nachmittag kam sie weinend aus der Grundschule. Weil sie eine schlechte Note hatte, haben die anderen Schüler gesagt, sie muss auf die Oberschule – und dort würden nur Loser hingehen.“

Der Mut zum Schritt auf das Gymnasium wurde im Falle der Zschierener Familie belohnt; bislang kommen beide Kinder gut zurecht. Lilli besucht derzeit die sechste, ihr 14-jähriger Bruder die achte Klasse des Hülße-Gymnasiums in Reick. Zwar hatten die Eltern auch die überaus beliebten und zentral gelegenen Gymnasien wie Bürgerwiese oder Marie-Curie im Blick. „Für uns war dann aber doch der Fahrtweg ausschlaggebend“, sagt Cathleen Möhring, die mit ihrer Familie 2011 aus der Südvorstadt ins Eigenheim nach Zschieren gezogen ist. Die Entscheidung für das Hülße-Gymnasium haben sie nicht bereut. Besonders gut gefallen hat den Kindern die Eingewöhnungszeit. „Am Anfang war es schon komisch, es gibt so viele Räume, alles ist groß und nicht so gemütlich wie in der Grundschule“, sagt Lilli. Sie kann sich noch gut an die Aufregung am ersten Schultag erinnern. „Die Neuntklässler haben uns alles gezeigt, das war schön.“ Ein weiterer Pluspunkt: Die erste Klassenfahrt gleich zu Beginn der fünften Klasse. „Da haben wir uns alle gut kennengelernt.“

Die Befürchtung, dass enorm viel Freizeit für Hausaufgaben und Lernen verloren geht, hat sich bislang ebenfalls nicht bewahrheitet. Ganz im Gegenteil: Neben seinem Karate-Training zweimal wöchentlich lernt Fritz am Hülße nun auch Gitarre spielen. Lilli geht tanzen und trainiert an zwei Tagen in der Woche Badminton. „Wenn ich nach Hause komme, mache ich zuerst Hausaufgaben“, sagt die Zwölfjährige. „Danach geht es in den Verein.“

Für Hanno Schöne ist es wichtig, dass die Hobbys seiner Kinder nicht zu kurz kommen. „Dafür muss Zeit bleiben. Deshalb sollten Eltern ihre Kinder realistisch einschätzen, bevor sie sich für den Weg aufs Gymnasium entscheiden.“ Seit diesem Schuljahr sind die Bildungsempfehlungen, die Schüler in der vierten Klasse bekommen, nicht mehr bindend. Eltern können ihre Kinder nun auch für das Gymnasium anmelden, wenn der Notendurchschnitt in Mathematik, Deutsch und Sachunterricht schlechter als 2,0 ist.

Der befürchtete Ansturm blieb zunächst aus – in Dresden nutzten 83 Schüler diese Möglichkeit. Interessant ist die Statistik zu den Schülern, die in diesem Schuljahr vom Gymnasium auf die Oberschule wechselten. Diese Zahlen wurden Anfang 2017 erhoben. Demnach verließen 105 Dresdner Schüler eines der kommunalen Gymnasien, um an einer Oberschule weiterzulernen. Sie machen allerdings nur 1,3 Prozent aller Dresdner Gymnasiasten aus. Meistens sind schlechte schulische Leistungen ein Grund für den Wechsel. Petra Nikolov von der Sächsischen Bildungsagentur (SBA) bewertet die Schulwechsel als Einzelfälle, die mitunter mit einem Umzug in eine andere Stadt zusammenhängen. Zudem komme es vor, dass Familien aus einem anderen Bundesland nach Dresden ziehen und die Kinder mit dem Stoff an einem sächsischen Gymnasium Probleme haben. Einige Studien, darunter die Dresdner Kinderstudie, die 2013 veröffentlicht wurde, zeigen, dass heute viele Kinder an weiterführenden Schulen unter dem Leistungsdruck leiden, häufig Kopfschmerzen haben, im Unterricht nicht mitkommen.

Um Schülern in solchen Situationen einen Ansprechpartner für ihre Probleme zu geben, investiert der Freistaat in diesem Jahr 15 Millionen Euro in den Ausbau der Schulsozialarbeit an sächsischen Einrichtungen. Davon profitieren auch Dresdner Gymnasien. Derzeit finanziert die Landeshauptstadt 23 Personalstellen aus eigenen Mitteln, 7,5 weitere Stellen werden über das Landesprogramm bezahlt. Seit dem Schuljahr 2016/17 erstmals auch an zwei Gymnasien. In der vergangenen Woche hat der Jugendhilfeausschuss zudem beschlossen, künftig 16 weitere Schulen in Dresden mit einem oder zwei Schulsozialarbeitern zu unterstützen. Darunter sind auch sieben Gymnasien, wie etwa das Hülße-, Bertolt-Brecht-, Vitzthum- und Marie-Curie-Gymnasium. 2017 stehen dafür insgesamt fast 1,9 Millionen Euro zur Verfügung.