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Abgeschnitten von der Datenautobahn

An der Canitzer Straße wartet man seit Jahren auf ein schnelleres Internet. Die Anwohner würden das Kabel sogar selbst eingraben.

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© Sebastian Schultz

Von Britta Veltzke

Riesa. Bei den Pillings auf der Canitzer Straße rechnet man beim Internet noch in Kilobit pro Sekunde – für die Kinder des Ehepaares eine Einheit aus dem letzten Jahrtausend, ebenso wie ein Pfund oder ein Ar Land – 100 Quadratmeter. In den Großstädten, selbst in Teilen Riesas, schickt man längst Datenmengen in Megabit oder gar Gigabit pro Sekunde durch die Kabel. Je nach Ort ist das Internet 130-mal schneller als jenseits der Kreuzung Canitzer/Reußner Straße. „Eine aufwendige Seite zu laden oder ein Youtube-Video anzusehen, erfordert viel Geduld. Und selbst das Festnetztelefon funktioniert inzwischen ja nur noch übers Netz. Da ruckelt es dann schon mal in der Leitung“, sagt Jörg Pilling.

Auch seine Kinder sind von der Situation genervt. Dass sie in ihrer Freizeit nicht wie Gleichaltrige im Internet surfen können, ist dabei nur ein Teil des Problems. „Die Kinder brauchen das Internet inzwischen ja auch für die Schule. Für ihre Hausaufgaben müssen sie häufig im Netz recherchieren“, erklärt Claudia Pilling.

Mit ihren Nachbarn tauschen sie sich häufig über ihr „Steinzeit-Netz“ aus. „Besonders witzig ist es, wenn uns die Telekom wieder Angebote für Internetverbindungen schickt, die wir hier gar nicht nutzen können“, sagt Nachbarin Jacqueline Kermbach. „Wir würden sofort zuschlagen, wenn die technischen Voraussetzungen da wären.“ Sind sie aber nicht, sagen die Nachbarn. Das Glasfaserkabel liege nur bis zur Kreuzung Reußner Straße. Seit Jahren bemühen sie sich um den Ausbau, nerven die Telekom oder fragen bei der Stadtverwaltung nach. „Wir würden auch selbst den Spaten in die Hand nehmen“, sagt Norbert Kermbach.

Auch die städtische Tochtergesellschaft AGV schlägt sich mit den geringen Übertragungsraten herum, bestätigt Geschäftsführer Roland Ledwa. „Daher erwägen wir für unseren Standort an der Canitzer Straße, mittels Richtfunk eine direkte Anbindung an unser Breitbandnetz zu schaffen.“

Auf diese Weise hat sich auch Ralph Preißler, Nachbar der Familien Pilling und Kermbach, geholfen. Über einen Funkmast aus DDR-Zeiten im Garten nutzt er das Angebot der Riesaer Firma NU Informationssysteme. Preißler und seiner Familie stehen so immerhin bis zu acht Megabit in der Sekunde zur Verfügung. „Aber das ist kein vollwertiger Ersatz für einen Glasfaseranschluss. Die Verbindung kann erheblich schwanken, besonders bei Regen“, erklärt er. An Online-Spiele sei da nicht zu denken. „Gut, das ist ein Luxusproblem. Trotzdem: Die Voraussetzungen, die wir hier haben, sind einfach nicht zeitgemäß.“

Der Landkreis erhält nichts

Nach den Plänen der Bundesregierung sollen bis 2018 alle Bürger eine Internetverbindung von 50 Megabit in der Sekunde nutzen können. Das Dilemma: In dicht besiedelten Regionen, wo viele potenzielle Kunden leben, lohnt es sich für die Firmen wie die Telekom, selbst Breitbandkabel zu verlegen. Auf dem Land müssen die Kommunen einspringen. Bei dem Ausbau werden sie mit Steuergeld unterstützt. Erst Anfang des Monats kam die Meldung, dass Bund und Land 400 Millionen Euro ausgegeben, um den Technologie-Rückstand im Freistaat zu beheben – besonders in den ländlichen Regionen. Geld fließt etwa nach Nordsachsen, in den Kreis Bautzen und ins Vogtland. Die Kreise hatten sich schnell um die Förderung bemüht. Und der Kreis Meißen guckt in die Röhre? Laut Kerstin Thöns, Sprecherin des Landratsamtes, hat sich der Kreisrat dazu entschlossen, dass man den Ausbau nicht gemeinsam anpackt. Mit anderen Worten: Jede Kommune kümmert sich nun selbst darum.

Im Riesaer Rathaus tut man sich offenbar schwer mit der Bürokratie: Vergangenes Jahr gab die Stadt ein Gutachten in Auftrag, das für den Antrag um Fördermittel nötig ist. Denn nur wer nachweisen kann, dass Chancen auf das Geld bestehen, kann sich auch darum bewerben. Die Untersuchung ergab das gewünschte Ergebnis: förderfähig! Eigentlich hätte die Stadt damit einen Schritt weitergehen können – hätten Bund und Land in der Zwischenzeit nicht ihre Richtlinien verändert. „Deshalb muss die gesamte Analyse noch mal überarbeitet werden. Dafür wiederum – also für die neue Analyse – hat die Stadt auch Förderung beim Bund beantragt, aber leider noch keinen Bescheid. Wir warten quasi täglich drauf“, sagt Stadtsprecher Uwe Päsler. Damit sei jedoch immer noch kein einziges Kabel verlegt.

Erst wenn die neue Analyse fertig ist, kann der Ausbau geplant werden. Bis Land und Bund dafür Fördergeld geben, dürften allerdings Monate oder gar Jahre ins Land gehen – wenn für Riesa dann überhaupt noch Geld im Topf ist. Dann vielleicht doch selbst den Spaten in die Hand nehmen? Die Bereitschaft an der Canitzer Straße wäre da. Die Geduld ist langsam am Ende.