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Abenteuer bei Kap Hoorn

Hinter einer alten Ansichtskarte von den Falklandinseln versteckt sich eine spannende Geschichte.

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© Archiv Grüne

Von Albert-Friedrich Grüne

Lommatzsch. Als der Autor vor einigen Jahren in der argentinischen Hauptstadt Buenos Aires eine historische Postkarte der Falklandinseln entdeckte, konnte er nicht ahnen, welche Geschichte hinter dieser Bildpostkarte steckte. Die Karte war an „Herrn Max Schuster, F.A. Heydes Buchhandlung, Lommatzsch i. Sa., Markt 35, Germany“ adressiert. Der Text war recht knapp gehalten: „Herzlichen Gruß sendet Curt. Befinden sehr gut, das Eure hoffentlich auch.“ Was hatte Curt auf den Falklandinseln im Südatlantik, immerhin mehr als 13 000 Kilometer von seinem sächsischen Bekannten in Lommatzsch entfernt, vor dem Ersten Weltkrieg zu tun?

Die Rückseite der Karte
Die Rückseite der Karte © Archiv Grüne

Über die Lommatzscher Bürgermeisterin Anita Maaß kam der Autor in Kontakt mit dem Lokalhistoriker Hainer Plaul, der schon nach kurzer Zeit berichten konnte: Am 13. Juni 1906 übernahm Max Schuster die Firma F. A. Heyde, Buch-und Papierhandlung, Markt 36 (seit 1910: Markt 10). Der Ursprung dieser Firma geht auf das Jahr 1860 zurück. Seit 1883 war Friedrich August Heyde der Eigentümer. Die Lebensdaten des F. A. Heyde sind nicht bekannt. Der alte Firmenname wurde nach dem Kauf durch Max Schuster beibehalten.

Bei dem Kartenschreiber Curt handelt es sich um einen Bruder des Max Schuster. Da die fragliche Karte an die F. A. Heyde’sche Buchhandlung adressiert ist, muss sie zwischen dem 13. Juni 1906 (Tag der Übernahme der Buchhandlung durch Max Schuster) und Herbst 1910 (Einführung der heute noch gültigen Hausnummern) geschrieben bzw. abgeschickt worden sein. Aus „Markt 36“ wurde damals „Markt 10“. Die auf der Karte angegebene Nummer 35 ist ein Verschreiber . Als frühest möglicher Zeitpunkt des Kartenschreibens käme also das Jahr 1906 in Betracht. Da war Curt Schuster gerade 17 Jahre alt. Er könnte als Schiffsjunge oder Leichtmatrose unterwegs gewesen sein.

Nach den beeindruckenden Recherchen von Dr. Plaul konnte der Zeitpunkt, in dem die Karte von den Falklands wahrscheinlich abgesandt wurde, nun auf den Zeitraum von Juni 1906 bis Herbst 1910 eingeengt werden. Leider ein immer noch zu großer Zeitraum für die vielen Schiffe, die die Falklands jährlich, vor Fertigstellung des Panama Kanals 1914, angelaufen haben.

Vielleicht konnte die Philatelie hier weiterhelfen? Der Autor wandte sich an Stefan Heijtz, den führenden philatelistischen Falkland-Experten in Stockholm. Schon wenig später traf per E-Mail eine Antwort aus Schweden ein, wonach die Karte im September 1908 abgestempelt worden sein musste.

Das Puzzle um das Datum war damit gelöst. Die Post wurde in Stanley, der Hauptstadt der Falklandinseln, fast immer abgestempelt, wenn das Postschiff eingelaufen war. Das Postamt in Stanley wurde dann geschlossen und die gesamte aufgelaufene Post schnellstmöglich abgestempelt, damit sie zügig an Bord gebracht werden konnte, damit das Schiff wieder auslaufen konnte. Das Postschiff Oravia von der Pacific Steam Navigation Company hatte Stanley am 8. September 1908 verlassen; entsprechend muss die Karte mit hoher Wahrscheinlichkeit am 7. oder 8. September auf den Falklandinseln abgestempelt worden sein.

Die nächste Frage war nun, wie hieß das Schiff mit dem 19-jährigen Sachsen Curt Schuster aus Lommatzsch an Bord? Die Antwort von Tansy Bishop, Leiterin des Nationalarchivs der Falklandinseln, war überraschend eindeutig: Es lag ab dem 2. August 1908 bis zum 24. September 1908 nur ein deutsches Schiff im Hafen von Stanley: die Hamburger Viermastbark „Henriette“. Dies war Curt Schusters Schiff.

Die mächtige Viermastbark „Henriette“ war eine 3 100 Tonnen Bark von knapp 100 Metern Länge und fast 14 Metern Breite. Dieser Schiffstyp war als Hochseefrachtschiff vor dem Ersten Weltkrieg weit verbreitet. Autor Fred Schmidt berichtete 1935 in seinem Buch „Schiffe und Schicksale“ auch von der „Henriette“: „Im Juli 1908 lag die große Hamburger Viermastbark ‚Henriette’ an Kap Hoorn. Eine Woche schwerster Stürme hatte sie bis auf 63° hinuntergejagt (Anmerkung des Autors: Kap Hoorn liegt etwa bei 56° südlicher Breite). Furchtbare Böen zerfetzten Segel um Segel. Der greise Kapitän Rasch erlag den Strapazen dieser Tage; gierig schlang die kochende See den stillen Mann.

Bis auf 59° Süd und 70° West hatten sie sich hingeknüppelt, da mussten sie notgedrungen den Kampf aufgeben, nur noch wenige Segel hielten Stand. Die festesten hatte der Sturm zerfetzt. Am 90. Tage nach der Ausreise vom Kanal mussten sie das Schiff umdrehen und die Falklandinseln als Nothafen anlaufen.“

Als sie die Falklands am 2. August 1908 erreichten, hat Curt Schuster wahrscheinlich schon die Möglichkeit genutzt, schon mit dem August-Postschiff seinem Bruder das Abenteuer zu schildern. Entsprechend konnte er sich auf der Postkarte vom 8. September an seinen Bruder Max Schuster in Lommatzsch auch recht kurz fassen.

Nach rund sieben Wochen Reparatur-Aufenthalt in den Falklands konnte die „Henriette“ ihre Reise nach Coquimbo in Chile fortsetzen, um dort ihre Kohleladung abzuliefern. Der erste Offizier Larsen durfte das Kommando auf der „Henriette“ übernehmen. Curt Schuster war wieder mit an Bord und konnte zu Hause im sächsischen Lommatzsch sicher viel erzählen und die Legenden von Kap Hoorn damit weiter verbreiten.