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„Ab 20 Stunden wird es Quälerei“

Robert Petzold gelingt ein unglaublicher Höhen-Weltrekord – mit Zuckerwasser und einer Frischei-Waffel.

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© Eckardt Mildner

Von Michaela Widder

Am Tag nach seiner 24-Stunden-Extremtour kommt Robert Petzold auf dem Fahrrad zum Termin. „Der Rücken ist ein wenig verspannt, aber den Beinen geht es gut.“ Das sagt einer, der am Samstagmittag im erzgebirgischen Holzhau aufbrach, um den Höhen-Weltrekord in 24 Stunden aufzustellen. 154-mal ist Petzold mit seinem Rennrad die 1,4 Kilometer lange Bergstraße hoch- und runtergefahren und hat dabei 22 622 Höhenmeter zurückgelegt. Umgerechnet könnte man auch sagen: Er hat den 8 848 Meter hohen Mount Everest zweieinhalbmal erklommen.

„Ich bin stolz auf meine Leistung“, sagt der 27-Jährige, „auch wenn mir der Rekord persönlich nichts wert ist. Der ist nur für die Vermarktung gut.“ Der Eintrag ins Guinnessbuch ist nur noch ein formeller Akt. Petzold hat mit seinem 40-Mann-Team alles dafür erbracht. Die alte Bestmarke lag bei 21086 Höhenmetern, die hatte er schon nach 22 Stunden und 20 Minuten geknackt. „Danach habe ich etwas das Tempo rausgenommen.“ Als der Dresdner dann am Sonntag um 13 Uhr ins Ziel kommt, ist sein „Kopf einfach nur leer“.

Petzold, der erst mit 19 seine Leidenschaft fürs Radfahren entdeckte und gerade einmal seit vier Jahren ernsthaft trainiert, hatte sich für seinen Rekord die Bergstraße in Holzhau ausgesucht, eine beleuchtete Strecke ohne nennenswerte Kurven. Rund acht Minuten braucht er für jede Auffahrt, die Abfahrt, die etwas zur Erholung dient, dauert 90 Sekunden. Mit Spitzengeschwindigkeiten bis zu 93 km/h donnert er hinab. „Nachts ging das natürlich nicht, weil es zu gefährlich ist. Dazu hat es am Morgen noch angefangen zu regnen“, berichtet er. Doch wichtiger als die Abfahrten ist das gleichmäßige „Hochstrampeln“.

Petzolds Geschwindigkeit am Berg, der an der steilsten Stelle eine 18-prozentige Steigung aufweist, sind elf Stundenkilometer. Einige Male begleiten ihn seine Rad-Freunde Tobias und Thomas hinauf. Ein paar Hobby-Radler versuchen, wenigstens einmal an seinem Hinterrad den Berg zu erklimmen. Als es dunkel wird, leuchtet die Feuerwehr mit Signallampen die Strecke aus. Für einen Hauch Romantik sorgen die Bewohner, die Teelichter vor ihren Häusern aufstellen. In ihren Gartenstühlen harren einige bis nach Mitternacht aus, um den Extremradsportler anzufeuern. Als sich die Helfer abwechseln, um für ein paar Stunden zu schlafen, tritt Petzold wie ein Uhrwerk weiter und philosophiert mit Kumpel Tobias sogar über das bedingungslose Grundeinkommen. Aber es kommt die Zeit, da reden mehr die anderen. „Ich hatte keine Probleme mit der Müdigkeit. Erst ab 20 Stunden wird es zur Quälerei. Das hat mit Spaß nichts mehr zu tun.“

Notdurft als einzige Pause

Wenn Petzold keinen Einbruch erlebt, hat er den Weltrekord sicher. „Da hatte ich keine Lust mehr, mich zu quälen.“ Da helfen Gedanken an seinen Kumpel Björn Lenhard, der zurzeit beim Transcontinental-Race von Belgien in die Türkei 3 800 Kilometer in neun Tagen zurücklegt. „Ich kann nachher wieder ins Bett, er nicht.“ So kann man sich auch eine stundenlange Tortur irgendwie schönreden.

In 24 Stunden muss Petzold auch mal eine Notdurft erledigen, fünfmal steigt er dafür von seinem Rad ab – ein minimaler Zeitverlust von vier Minuten. Beim Race across the Alps, das er kürzlich ein zweites Mal gewann, war das anders: „Da ließ ich es einfach laufen. Aber das ging hier nicht mit den Zuschauern und Berg runter ist es einfach zu steil, bergauf muss ich ja treten“, erklärt er.

Immer wieder ist die ausgeklügelte Energiezufuhr Thema. Jede Stunde nimmt er einen Mix zu sich, den er „Schweineplempe“ nennt und aus dem das Rechtschreibprogramm „Schweinlende“ machen will. Aber dieses Getränk aus Maltodextrin, Fruktose und etwas Salz sei so süß, dass es wohl selbst Schweine verschmähen würden. Petzold trinkt davon 600 Milliliter pur oder mit Tee gemischt und ernährt sich fast ausschließlich davon. „Einmal gab es eine Frischei-Waffel und Eistee.“

Als der Geo-Physikstudent nach 24 Stunden im Ziel ist, hat er nur noch Appetit auf Herzhaftes und gönnt sich erst einmal zwei Bratwürste und einen halben Teller Soljanka. 20 000 Kalorien hat er verbrannt, ein Büro-Angestellter ohne Sport bräuchte dafür zehn Tage. Auch auf der Waage macht sich die Klettertour deutlich bemerkbar – 62 Kilo davor, und nun nur noch 58. Die kalorienreiche Siegertorte wäre ein Anfang, um wieder auf das alte Gewicht zu kommen. Doch das süße Geschenk teilte sich Robert Petzold am Montag lieber mit seinen Helfern. Ohne sein Team hätte er den Rekord schließlich nicht gebrochen.