Merken

90 Feuerwehreinsätze in drei Stunden

Schlamm auf der Straße, Wasser im Haus, Löcher im Dach – ein Unwetter hat am Montagabend im Kreis Bautzen große Schäden angerichtet. Der SZ-Wetterexperte weiß, warum.

Teilen
Folgen
© Jens Uhlig

Katja Schäfer, Ingolf Reinsch und Manuela Reuss

Kamenz. Überflutete Straßen, vollgelaufene Keller und Wohnungen, umgestürzte Bäume – das Unwetter, das am Montagabend über Sachsen gezogen ist, hat auch im Landkreis Bautzen große Schäden angerichtet. Vor allem im sorbischen Siedlungsgebiet gab es Feuerwehreinsätze nahezu im Minutentakt. Um 20.22 Uhr ging bei der zentralen Rettungsleitstelle in Hoyerswerda der erste Notruf ein; in Neukirch/Lausitz war der Keller eines Hauses vollgelaufen. Bis Mitternacht folgten rund 90 weitere Einsätze. So war am Dienstagmorgen zum Beispiel in Lehndorf an der S 100 zwischen Kamenz und Bautzen Aufräumen angesagt. Nach einem kurzen, aber heftigem Unwetter hatte sich am Vorabend eine dicke Schlammlawine in den Ort gewälzt. Der braune Modder suchte sich seinen Weg, überzog nicht nur Straßen, Wege und Gärten mit einer dicken Matschschicht, er lief auch in die Häuser. Zum Beispiel bei Familie Sauer. Dort gelangte die Pampe bis ins Wohnzimmer. Zum Glück habe man den Stubenboden beim Renovieren im vergangenen Jahr gefliest, erzählt Veronika Sauer. Dadurch hielt sich der Schaden in Grenzen und der Schlamm ließ sich besser beseitigen. „Die Möbel haben wir kurzerhand auf Klötze gestellt.“

Auch in Lehndorf wurde die S 100 von einer Nebenstraße aus mit ganz viel Schlamm geflutet.
Auch in Lehndorf wurde die S 100 von einer Nebenstraße aus mit ganz viel Schlamm geflutet. © Rocci Klein
Hagelkörner so groß wie Walnüsse richteten Schäden an Pflanzen und Dächern an.
Hagelkörner so groß wie Walnüsse richteten Schäden an Pflanzen und Dächern an. © Torsten Zettl
Auf dem Bischofswerdaer Butterberg wurde unter anderem ein großes Zelt umgerissen.
Auf dem Bischofswerdaer Butterberg wurde unter anderem ein großes Zelt umgerissen. © Steffen Unger

Keller laufen voll

Die ganze Nacht kämpfte Familie Sauer mit den Folgen des Unwetters. Und sie waren beileibe nicht die einzigen Betroffenen. In einigen Häusern liefen die Keller voll. Die Feuerwehrsirenen seien ständig zu hören gewesen, erzählt Veronika Sauer. „Ich bin jetzt 58 Jahre alt, aber so ein heftiges Unwetter hab’ ich hier noch nicht erlebt“, schildert auch der Wirt des Lehndorfer Gasthauses „Zur Linde“, Rainer Kubitz. Die Kombination von Hagel und Starkregen war verheerend. Die Eiskörner rissen Blätter von den Bäumen. Die verstopften teilweise Gullys, die ohnehin nicht in der Lage waren die Regenmassen aufzunehmen. Dazu kam, dass auch im seit Tagen knochentrockenen Boden kaum Wasser versickerte, sondern stattdessen die Erde weggespült wurde.

Stark betroffen war zum Beispiel auch der Ortsteil Naundorf in der Gemeinde Doberschau-Gaußig. „Zuerst kam das Wasser von allen Seiten, dann der Schlamm von den Feldern“, sagt Carola Häntzschel. „Seit ich dort wohne, seit 35 Jahren, habe ich so etwas noch nicht erlebt.“ Die durch den Ort führende Straße wurde überflutet. Schlammiges Wasser lief in die Grundstücke; auch in das von Häntzschels. Feuerwehrleute pumpten Keller aus und reinigten die Fahrbahn. In Neuzockau und an mehreren Stellen der Neuen Straße in Gaußig mussten sie sogar Wohnungen von Wasser befreien, berichtet Mario Schär, der den Bauhof der Gemeinde leitet.

Auch in der Gemeinde Königswartha gab es einige Einsätze wegen vollgelaufener Garagen und Keller, unter anderem war der Königswarthaer Kindergarten betroffen. „Bis gegen 2 Uhr hatten wir damit zu tun, die Wehre freizuhalten, damit die Wassermassen gut abfließen konnten“, berichtet Swen Nowotny, der Bürgermeister von Königswartha und in der Feuerwehr aktiv ist. Weil am Niesendorfer Wehr gebaut wird, gibt es derzeit keine Regulierungsmöglichkeit und ein Teil des Wasser fließt ungehindert durch den Königswarthaer Mühlgraben. Die Einsatzkräfte beseitigten immer wieder angespülte Äste und Laub von den Wehren und öffneten eins ganz, um Stauungen zu vermeiden.

Schäden durch Hagelschlag

Bei Königswartha hat zudem der Hagel große Schäden am Wintergetreide angerichtet. Außerdem wurde an einigen Stellen im Kreis die frische Mais- und Zuckerrüben-Saat von den Feldern gespült. Wie hoch der Schaden ist, kann der Vorsitzende des Kreisbauernverbandes Stefan Triebs bisher nicht sagen. Er ist noch dabei, alle Verluste zu erfassen.

„Die Hagelkörner, die bei uns runter kamen, waren so groß wie Minigolfbälle. Das hat geknallt wie verrückt. Ich hatte richtig Angst“, sagt die Chefin des Irrgartens in Kleinwelka Regina Frenzel, während sie am Dienstagmittag noch dabei ist, mit einigen Helfern schubkarrenweise den Schlamm aus dem Hecken-Labyrinth zu beseitigen. Die frisch gepflanzten Studentenblumen haben nun keine Köpfe mehr und eine Überdachung, unter der Gäste Platz finden, sieht jetzt aus wie ein Sieb. Die Hagelkörner haben die Wellplastikplatten durchlöchert.

Das Dach der Veranda des Gasthofes auf dem Bischofswerdaer Butterberg wurde ebenfalls so beschädigt, dass es dort jetzt durch regnet. In dem Raum sollten am Dienstag eigentlich zahlreiche Unternehmer aus der Oberlausitz beim Mittelstandstag die Pausen verbringen. Das Kaffeegeschirr stand schon bereit. Die Veranda musste allerdings geräumt werden. Auf die Schnelle werde der Schaden nicht zu beheben sein, schätzt Eigentümer Karl-Heinz John ein. Außerdem beschädigte das Unwetter auf dem Butterberg das Dach der Waldterrasse und riss ein großes Pagodenzelt vorm Lokal um. Tische und Stühle aus dem Außenbereich waren von Mitarbeitern noch am Montagabend reingeräumt und so vor Schäden bewahrt worden. Der Berggasthof hat wie gewohnt geöffnet.

Superzelle trifft die Region

Hobby-Wetterexperte Jens Tischer aus Lückersdorf bei Kamenz kann das Wetterphänomen vom Montag erklären: „Erneut hat eine Superzelle die gleiche Region getroffen wie in den Vorjahren. Es handelte sich um eine um sich selbst drehende Gewitterzelle ähnlich eines Strudels.“ Eine solche könne besonders viel Hagel und Niederschlag produzieren, manchmal auch Tornados. Den Ursprung habe sie fast 400 Kilometer entfernt unweit des Großen Arbers auf böhmischer Seite gehabt, später zog sie an Prag vorbei, passierte Bad Schandau und drehte noch mal richtig auf. „An den Bergen wurde die Warmluft kräftig gehoben und auf bekannter Trasse über Panschwitz-Rosenthal-Wittichenau und Hoyerswerda wurde alle Energie abgeladen. Hagelmassen, ein Downburst, begleiteten das Unwetter sowie Niederschlagsmengen um 60 mm. Die Korngrößen erreichten bis vier Zentimeter. Die Folge waren Schlammlawinen. Tischer: „Einmal mehr zeigt sich, dass die größte Gefahr von den Landwirtschaftsflächen ausgeht – nach fehlgesteuerter EU-Agrarpolitik.“ Vernünftig wäre die Rückkehr zu breitem Ackerrand und genügend Wildheckenstreifen. Die Kommunen und Landwirte bräuchten neue Strategien gegen die Landerosion, so Tischer.