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70 Görlitzer Kinder können nicht an die Wunschschule

Allein an die Oberschule Innenstadt sollen 49 Fünftklässler, die gar nicht dorthin wollten.

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© Archivfoto: Pawel Sosnowski

Von Daniela Pfeiffer

Görlitz. Turbulente Wochen liegen hinter den Oberschulen und Gymnasien – vor allem aber hinter Eltern von künftigen Fünftklässlern. Wie auch in den Vorjahren gab es bei den Anmeldungen für die Oberschulen und Gymnasien Lieblingsschulen, für die weit mehr Kinder angemeldet wurden, als aufgenommen werden konnten.

Schon bei den Tagen der offenen Tür, den die Schulen immer kurz vor Ablauf des ersten Halbjahres veranstalten, um sich vorzustellen und den betreffenden Familien die Wahl zu erleichtern, wurde hier und da sehr deutlich gesagt, dass man sich seine Wahl sehr gründlich überlegen solle und sich nicht unbedingt nur auf die eine Wunschschule versteifen dürfe. Trotzdem wiederholte sich an den Oberschulen dann das Szenario der letzten Jahre: Die Oberschulen Scultetus und Rauschwalde hatten erneut mit Abstand die meisten Anmeldungen. Dabei ist auffällig, dass Rauschwalde diesmal sogar die Nase vorn hatte. Weniger Familien interessierten sich für die Oberschulen Melanchthon und Innenstadt, wobei es gegenüber dem Vorjahr auch hier einen Wechsel gab: Diesmal konnte die Innenstadtschule mehr Anmeldungen verzeichnen als die Melanchthonschule.

Auch die beiden Gymnasien wechseln sich in der Beliebtheit weiterhin ab. Lag im vergangenen Jahr das Augustum-Annen-Gymnasium klar vorn, wollten diesmal deutlich mehr Kinder aufs Curie. Entsprechend viele enttäuschte Gesichter gab es am 16. Mai, dem Tag, an dem alle neuen Fünftklässler-Familien den Brief von der Schule bekamen: 18 Schüler musste das Joliot-Curie-Gymnasium ablehnen. Einen Freifahrtschein hatte nur, wer sich schon im Vorfeld für die Latein-Klasse entschieden hatte. Dazu hatte Schulleiter Wolfgang Mayer im Vorfeld alle Eltern persönlich angerufen. Wie viele Kinder nun in der Lateinklasse lernen, ist nicht bekannt. Wie auch viele andere der Görlitzer Oberschulen hat das Curie-Gymnasium auf die SZ-Anfragen zur Bildung der neuen fünften Klassen nicht reagiert.

Hubertus Kaiser, Pressekoordinator am Augustum-Annen-Gymnasium, sagt, dass das Thema Klassenbildung an seiner Schule nicht so eine entscheidende Bedeutung habe, da es sich dabei formal lediglich um einen Verwaltungsakt handle. „Dessen Handlungsspielraum vor Ort an den einzelnen Gymnasien und Schulen wird durch die Schulnetzplanung und das Schulgesetz sehr begrenzt.“ Federführend bei allen Entscheidungen sei die Sächsische Bildungsagentur in Bautzen, die letztendlich die Klassenstärken festlegt.

Für das Augustum-Annen-Gymnasium bedeutet das neue Schuljahr aber immerhin eine weitere fünfte Klasse. Weil so viele Kinder vom Curie umgeleitet werden mussten, werden im Augustum-Annen-Gymnasium nun statt vier sogar fünf fünfte Klassen lernen. Warum das im Gymnasium am Wilhelmsplatz nicht möglich war, hat wohl Kapazitätsgründe.

Genauso ist das an den Oberschulen. Frank Dörfer, Leiter der Scultetus-Oberschule im Görlitzer Norden, machte den Eltern von vorn herein klar, dass es aus Platzgründen nur zwei fünfte Klassen geben wird. Und dass er daher nicht mehr als 50 Schüler werde aufnehmen können. Dass in der aktuellen Statistik (siehe Tabelle) drei Klassen und 63 Kinder auftauchen, liegt an der Deutschklasse für Flüchtlingskinder, die mitgezählt werden.

Wie wählt man als Schulleiter aber nun aus, welche Bewerber man nimmt und welche auf andere Schulen umgelenkt werden müssen? „Da gibt es keine Wahl, sondern es wird gelost“, sagt Dörfer. Mit einer Einschränkung: Vor dem Auslosen habe er die Eltern angerufen und intensiv beraten. So legte er beispielsweise einigen Familien aus dem Umland nahe, eine Umlenkung nicht erst zu riskieren, sondern sich für die Oberschule Kodersdorf zu entscheiden. Außerdem sprach er viele Eltern an, deren Kindern eine Bildungsempfehlung fürs Gymnasium haben, sich aber für die Oberschule angemeldet hatten. „Wo die Eltern ein Einsehen hatten, wurden die Kinder vor dem Losen aus dem Topf genommen“, so Dörfer. Das Losverfahren an sich sei eine saubere Sache, jeder Schritt „gerichtsfest dokumentiert“. Es sei nun mal eine schwierige Situation, die man aber so nehmen müsse, wie sie ist. „Das Losverfahren ist dabei eben die gerechteste Entscheidung“, sagt Frank Dörfer.

Letztlich sind es um die 70  Kinder, die nicht an ihre Wunschschule gehen können – inklusive der beiden Gymnasien. Allerdings laufen noch einige Widersprüche. Die Frist, einen solchen einzulegen, lief gestern erst ab. In erster Instanz werden sich die Schulleiter nun untereinander dazu kurzschließen, erklärt Angela Ruscher, Sprecherin der Bildungsagentur in Bautzen. Deshalb hat sie auch keine aktuellen Zahlen, wie viele Familien die zugewiesene Schule nicht akzeptieren wollen. Viel Spielraum gibt es aber ohnehin nicht mehr. Späte Plätze gibt es nur vereinzelt – dann, wenn doch noch Familien abspringen oder wegziehen. „Theoretisch können wir bis vier Wochen nach Schuljahresbeginn noch in die Klassenbildung eingreifen“, sagt Frau Ruscher. Sollten Eltern mit der erneuten Ablehnung nicht einverstanden sein und in zweite Instanz gehen, so liegt es dann bei der Bildungsagentur, darüber zu befinden. „Wir prüfen die Kriterien, ob alles rechtens ist. Ist das der Fall, muss das Kind an die zugewiesene Schule gehen.“

Allerdings stehe es den Eltern frei, im nächsten Schuljahr einen neuen Antrag zu stellen – für den Fall, dass ein Kind die Klasse wieder verlässt. „Umlenken ist niemals schön, das wissen wir. Nicht für die Eltern, nicht für die Kinder, auch für uns nicht“, sagt Angela Ruscher. „Es ist ein schwieriges Feld, wir verstehen die Eltern natürlich. Sie haben sich die Wunschschule schließlich bewusst ausgesucht.“ Trotzdem rät sie – genau wie Schulleiter Frank Dörfer – den Schulen eine Chance zu geben, wenn sie auch nicht die erste Wahl waren. So sei es eigentlich unbegründet, dass so wenige Familien ihre Kinder etwa an die Oberschule Innenstadt schicken wollen, sagt Frau Ruscher. 49 Kinder sind dorthin nun umgelenkt worden. Aber Frank Dörfer hat die Erfahrung gemacht, dass sich die aufgeheizte Lage nach dem ersten Elternabend meist beruhige und sich die Kinder ohnehin sehr schnell zu einem neuen Sozialverband zusammenschließen würden.