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500 Verfahren gegen Schulschwänzer

Überfordert oder einfach keine Lust? Immer öfter fehlen im Landkreis Bautzen Schüler unentschuldigt. Mitunter kommt sogar die Polizei.

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© dpa

Von Jana Ulbrich

Das hätte sich der Junge wohl nicht träumen lassen: dass er jetzt hier in diesem Zimmer im Bautzener Landratsamt sitzt wie in einer Gerichtsverhandlung. Auf der einen Seite vom Tisch seine Mutter und er, auf der anderen der Chef vom Ordnungsamt, eine Sozialarbeiterin und seine Klassenlehrerin. Der 14-Jährige, nennen wir ihn Marcel, ist zur mündlichen Anhörung vorgeladen. Er soll hier am Tisch erklären, warum er die Schule schwänzt.

18 Tage hat Marcel in diesem Schuljahr schon unentschuldigt gefehlt. Der Achtklässler druckst herum. Mit 14 ist man strafmündig, erklärt ihm Ordnungsamtsleiter René Burk. Da muss Marcel jetzt schon mal Rede und Antwort stehen. Das ist dem Jungen zwar sichtlich unangenehm, aber reumütig zeigt er sich nicht. Ganz im Gegenteil. Was kann er denn dafür, wenn seine Mutter ihn morgens nicht weckt. Und wenn dann der Bus weg ist. Die Mutter druckst auch herum. Alleinerziehend, Hartz-IV-Empfängerin, und zurzeit gerade völlig überfordert mit dem pubertierenden Sohn. Was macht man in so einem Fall? Der Ordnungsamtsleiter redet Mutter und Sohn ins Gewissen, die Sozialarbeiterin bietet Hilfe an. Es soll nicht mehr vorkommen, sagt die Mutter. Marcel sagt gar nichts mehr.

Es kann auch Jugendarrest geben

Schulschwänzen ist eine Ordnungswidrigkeit, erklärt ihm der Amtsleiter. Und dass er die jetzt ahnden wird. Wie hoch die Strafe für den Jungen sein wird, ist eine Ermessensfrage. Das Gesetz lässt den Behörden da große Spielräume. Die reichen von einer mündlichen Verwarnung über empfindliche Geldstrafen bis hin zum Jugendarrest. Ob Marcel das will? Der Junge schüttelt den Kopf.

René Burk setzt für Marcel ein Bußgeld fest: Pro Fehltag zehn Euro. Macht in seinem Fall 180 Euro. Marcel kann die Summe gemeinnützig abarbeiten. „Jugendgemäße Vollstreckung“ heißt das im Amtsdeutsch. Der Junge soll ja vor allem etwas lernen aus der Sache. „Von den Bußgeldern haben wir gar nichts“, sagt René Burk. „Unser Ziel muss es sein, dass die Kinder und Jugendlichen wieder zur Schule gehen.“

Marcel ist längst kein Einzelfall. Im vorigen Jahr hat das Ordnungsamt des Landkreises insgesamt 503 solcher Verfahren gegen Schulschwänzer und ihre Eltern geführt. Die 503 Fälle sind nur diejenigen, die von den Schulen auch angezeigt werden, wenn ein Schüler länger als fünf Tage unentschuldigt fehlt. René Burk kann sich gut vorstellen, dass es in Wirklichkeit noch viel mehr Schulschwänzer gibt.

Null-Bock-Stimmung bei den Schwänzern

Die Gründe, warum Kinder und Jugendliche nicht zum Unterricht erscheinen, sind vielfältig. In den meisten Fällen aber sind es schwierige soziale Verhältnisse und eine Null-Bock-Stimmung wie bei Marcel. Bei den Anhörungen sprechen die Schüler aber auch oft von Mobbing oder der Angst vor einem bestimmten Lehrer. Wenn sich herausstellt, dass Schüler vor dem Leistungsdruck fliehen oder Angst haben zu versagen, dann schaltet der Ordnungsamtsleiter auch Psychologen und das Gesundheitsamt ein.

„Wir können hier am Tisch alles besprechen“, sagt René Burk. Die Dinge wieder zu Regeln sind ihm wichtiger als die Strafe. In vielen Fällen bietet er an, das angedrohte Bußgeld auszusetzen, wenn unentschuldigte Fehltage nicht mehr vorkommen. Nur bei den Uneinsichtigen bleibt er hart: Einen Berufsschüler hat er kürzlich von der Polizei vorführen lassen, weil der zur Anhörung nicht erschienen war. Eine Jugendliche hat er eines Morgens von Polizeibeamten abholen und in die Schule bringen lassen. Auch das hatte Wirkung. „Man muss die Maßnahmen von Fall zu Fall entscheiden“, sagt Burk. Bei Marcel lässt er das mit der Polizei. Der Junge wäre vielleicht noch stolz darauf, im Streifenwagen in die Schule zu fahren.

Unentschuldigtes Fehlen ist vor allem an Berufsschulen ein Problem. Fast drei Viertel aller Verfahren richten sich gegen Berufsschüler. In einem Fall geht es bereits um 200 Fehltage. Nur ein Verfahren betraf 2016 einen Gymnasiasten, 82 Fälle hat es an Oberschulen gegeben, 42 an Förderschulen, 30 an Grundschulen. In jedem einzelnen Fall wird am Verhandlungstisch im Landratsamt nach einer individuellen Lösung gesucht, sagt Burk. Aber auch das ist nicht immer leicht. Dreimal musste das Ordnungsamt im vorigen Jahr auch das Amtsgericht einschalten.