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50 Jahre im Einsatz

Der oberste Feuerwehrmann der Region geht in den Ruhestand. Manche Tage wird er nie vergessen.

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© Karl-Ludwig Oberthür

Von Annett Heyse

Rabenau. Fürs Foto werden nicht Jeans und Sweatshirt gebraucht, sondern die Dienstuniform. „Kein Problem“, sagt Dietmar Torau, geht nach nebenan und steht zwei Minuten später in Hemd, Tuchhose und Jackett wieder im Wohnzimmer. Sogar die Krawatte sitzt. Ganz Feuerwehrmann eben, da kann man sich fürs Ankleiden nicht viel Zeit lassen. Torau lacht schelmisch. „Man muss nur vorbereitet sein“, sagt er und folgt dem Fotografen in den Garten.

Dietmar Torau ist seit 50 Jahren Feuerwehrmann mit Leib und Seele. Viele Kameraden in der Umgebung kannten ihn zuletzt als Vize des Kreisbrandmeisters. In unzähligen Einsätzen half Torau mit, Brände zu löschen, Personen aus Autowracks zu bergen, Menschenleben zu retten. Als Brandschutzingenieur inspizierte er Firmengebäude, Schulen, Rathäuser, zählte die Feuerlöscher, schaute auf die Fluchtwege, die Brandschutzmauern, die Alarmsysteme. Nun ist es etwas ruhiger um ihn geworden. „Ich bin jetzt Ruheständler“, sagt er und klopft auf die Gartenbank.

Dietmar Torau stammt aus einer Possendorfer Feuerwehrfamilie. Vater und Großvater dienten in der Freiwilligen Wehr, der größere Bruder folgte. „Sie trafen sich zum Dienst im Gasthof und ich lauschte an der Tür“, erinnert er sich. Es war für ihn natürlich keine Frage, auch Feuerwehrmann zu werden. 1966 trat er in die Possendorfer Wehr ein. „Mich interessierten nicht nur die Einsätze, das ist ohnehin der kleinste Teil der Feuerwehrarbeit“, erklärt Torau. Nein, auch die Ausbildung, die Technik, das Werkeln an Fahrzeugen und Ausrüstung reizte ihn. Beruflich lernte er zunächst Zerspaner, doch schon bald war ihm klar: Er wollte nicht sein Leben an der Drehmaschine verbringen.

Das Erlebte von der Seele reden

1977 ging er zur damaligen Berufsfeuerwehr nach Freital. Plötzlich war nicht mehr nach acht Stunden Feierabend. Bei der Feuerwehr gab es 24-Stunden-Dienste, gefolgt von 24 Stunden Freizeit. „Alles eine Gewohnheitssache“, sagt Torau, der inzwischen in Rabenau lebte.

Feuerwehrmann – für viele Jungs ist das ein Traumberuf. Ist er das? Natürlich sei es eine tolle Sache, zu helfen. „Aber man sieht viele schlimme Sachen und nicht jeder kommt damit zurecht.“ Um die Bilder von Leid, Schmerz, Verletzungen auszuhalten, hat sich Feuerwehrmann Torau schon früh eine eigene Strategie zurechtgelegt: Reden. Mit den Kameraden nach dem Einsatz das Geschehen noch mal durchsprechen, quatschen, sich das Erlebte von der Seele reden – das helfe, erzählt er. „Und ich hatte das Glück, immer mit meiner Frau, meiner Familie darüber sprechen zu können.“ Überhaupt hat ihn immer die Kameradschaft der Feuerwehrmänner fasziniert, das Zusammenstehen, die gegenseitige Unterstützung. Doch es gab auch Einsätze, die an einem erfahrenen Feuerwehrmann wie Torau nicht spurlos vorüber gingen. Ein Scheunenbrand in Somsdorf zum Beispiel.

Lichterloh stand das Gebäude in Flammen – und drinnen war ein Kind. „Wir wären da nie reingegangen, viel zu gefährlich“, erzählt Torau. Doch die Feuerwehrmänner stellten eine Leiter an die brennende Scheune, Dietmar Torau und ein Kamerad kletterten unter Atemschutz durch ein Fenster und wühlten sich durch Rauch und Heuballen. „Wir haben das Kind nicht gefunden.“ Erst viel später, als die Scheune schon so gut wie gelöscht war, stießen sie auf den toten Körper. „Das Kind war genauso alt wie damals mein Kind“, sagt Torau. Seine Frau, die neben ihm sitzt, nickt. „Als er nach Hause kam und das erzählte, haben wir beide dagesessen und geheult.“ Nachdem die Freitaler Berufsfeuerwehr aufgelöst war, wechselte Dietmar Torau nach Dippoldiswalde ins Landratsamt. Nun war er in der Verwaltung tätig, wieder eine Umstellung. Als Brandschutzingenieur inspizierte er nun Schulen, Rathäuser, Firmengebäude. Und er war weiterhin als Unterstützung zum Dienst eingeteilt, 1992 wurde er Kreisbrandmeister. Damit war er ehrenamtlich quasi der Chef aller Feuerwehrmänner im Landkreis.

Eine unglaubliche Geschichte

Die Arbeit der Kameraden endet, wenn Brände gelöscht, Unfallfahrzeuge abtransportiert, Menschen im Krankenwagen sind. Das danach, das Ende der Geschichte erfahren sie selten. Einmal aber erhielt Dietmar Torau Monate später einen Anruf. „Der hat mich aus den Socken gehauen.“ Es war ein schwieriger Einsatz zwischen Colmnitz und Pretzschendorf in den 90er-Jahren. Jemand hatte eine Absperrung zu einem Grundstück in den Bereich der Straße gedreht. In der Dunkelheit knallte ein Autofahrer voll dagegen. „Als wir hinkamen, dachte ich: Das gibt es nicht!“ Das Stahlrohr hatte sich durch den Unterkiefer des Mannes und den Schädel getrieben – und zwar so, dass es oben am Kopf ein ganzes Stück hinausschaute. „Und der Mann lebte!“

Mit einer Flex schnitten die Kameraden den Mann frei, die Ärzte operierten ihn noch vor Ort im Krankenwagen. „Ich war sicher, dass der Mann stirbt“, erinnert sich Dietmar Torau. Monate später erhielt er den Anruf. Am Telefon war das Unfallopfer und es ging ihm im Großen und Ganzen gut. „Ich war perplex, total schockiert. Eine unglaubliche Geschichte.“ Nun lässt es Torau ruhiger angehen, übergab kürzlich sein Ehrenamt als stellvertretender Kreisbrandmeister. Dieses Jahr wird er noch in der Rabenauer Wehr mithelfen, dann ist er 67, die Altersgrenze für Kameraden. Er weiß jetzt schon, dass ihm etwas fehlen wird – 50 Jahre Feuerwehr, das lässt man nicht so einfach hinter sich.