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50 Arten auf einem Quadratkilometer

Wie hat sich die Vogelwelt in Riesa und Umgebung seit der Wende entwickelt? Experten wollen es herausfinden.

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© Sebastian Schultz

Von Stefan Lehmann

Riesa. Sein wichtigstes Werkzeug hat Dieter Schneider immer am Mann. Die Rede ist nicht etwa von dem großen Fernglas, das an einem Ledergurt um seinen Hals hängt. Nein, es sind seine Ohren. Auf die kann sich Schneider verlassen – und gibt gleich eine Kostprobe: „Eben hat man die Mönchsgrasmücke gehört“, sagt er und hebt andächtig den Zeigefinger. „Und in der Ferne singt der Gartenrotschwanz.“ Aus dem Gewirr an Singvogelstimmen kann Dieter Schneider problemlos einzelne Arten heraushören.

In Gröba konnte Schneider bereits etwa 50 Arten nachweisen. Die Mönchsgrasmücke nistet in seinem Garten.
In Gröba konnte Schneider bereits etwa 50 Arten nachweisen. Die Mönchsgrasmücke nistet in seinem Garten. © Sebastian Schultz
Ein Luftbild und eine Karte des jeweiligen Quadranten haben die Beobachter immer dabei.
Ein Luftbild und eine Karte des jeweiligen Quadranten haben die Beobachter immer dabei. © Sebastian Schultz

Wie der Gröbaer sind derzeit gut 21 Vogelfreunde im gesamten Gebiet des Altkreises unterwegs. Das hat manchmal schon zu Missverständnissen geführt. Es sei schon vorgekommen, dass man die Naturfreunde wegen der Feldstecher für Spanner gehalten habe, erzählt Peter Kneis schmunzelnd. Er koordiniert die Brutvogelkartierung, die bereits seit vergangenem Jahr läuft. Sie wollen der Frage nachgehen, welche Arten wo vorkommen – und zwar möglichst detailliert. „Es geht um die Frage: Welche Arten müssten da sein – und welche sind es tatsächlich?“, erklärt Peter Kneis. Im Vorfeld haben die Naturschützer den 402 Quadratkilometer großen Altkreis dafür in einmal einen Kilometer große Quadrate geteilt, denen dann jeweils ein Vogelfreund zugeordnet wurde.

Dieter Schneider beispielsweise beackert gleich 25 solcher Quadranten. Allein deshalb müssen er und seine Mitstreiter sich auf ihr Gehör verlassen können: Nicht jeder Winkel innerhalb der Flächen lässt sich ohne Weiteres begehen, zudem sind manche Arten scheu. Einigermaßen gutes Wetter sei deshalb notwendig, sagt Schneider: Nicht zu heiß, aber vor allem windstill sollte es sein. „Sonst hat man kaum eine Chance, alle Arten zu erfassen.“ Ohnehin muss er aber jeden Quadranten mehrmals abgehen. Spechte beispielsweise könne man nur im zeitigen Frühjahr hören. Und andere Arten seien nachtaktiv. Mindestens einmal müssen Schneider und seine Kollegen also auch nachts durch ihr Beobachtungsgebiet.

Die aufwendige Kartierungsaktion, die zwei Jahre dauert, fand zuletzt 1992/93 statt. Nun sei es an der Zeit zu schauen, inwiefern sich die Vogelwelt verändert hat: Sind Arten hinzugekommen, seltener geworden – ausgestorben? „Die Ergebnisse werden an die Landesverwaltung gegeben“, erklärt Peter Kneis. Und sie könnten durchaus zu konkreten Standortentscheidungen führen. Etwa, wenn ein Gebiet als besonders artenreich eingestuft wird – und damit als schützenswert. Detaillierte Ergebnisse werden wohl erst im kommenden Jahr vorliegen. Ein Zwischenfazit lässt sich aber schon ziehen. Es sei eine „räumliche Umverteilung“ zu bemerken, sagt Kneis. Viele Arten ziehe es in die Städte. Was auf den ersten Blick kurios wirkt, hängt vor allem mit der intensiven landwirtschaftlichen Nutzung zusammen. „In der Stadt ist die Nahrungsgrundlage besser, es werden weniger Biozide eingesetzt – und es gibt weniger Fressfeinde.“ Zusätzlich seien Koniferen und andere Gewächse in den Gärten und Parkanlagen eine willkommene Nistgelegenheit.

Das zeigt auch ein Blick auf eines von Dieter Schneiders Beobachtungsgebieten in Gröba. „Das ist schon sehr ergiebig“, sagt Schneider. Etwa 50 Arten hat er in dem Stadtteil schon nachweisen können. Kein schlechter Schnitt bei insgesamt 143 Arten, die es im Altkreis geben soll. „Die ganz spektakulären und seltenen findet man aber eher in der Gohrischheide.“ Da seien dann etwa der Ziegenmelker und der Wiedehopf dabei. Schneiders persönliche Höhepunkte während der Kartierung seien dagegen ein Brutnachweis des Schwarzspechts im Strehlaer Park – und drei Brutplätze des vom Aussterben bedrohten Steinschmätzers. „Das hat auch nicht jeder.“ In Riesa findet sich vor allem entlang der Jahna die eine oder andere seltene Art, beispielsweise die Wasseramsel.

Deutlich trister sieht es dagegen auf den großen Landwirtschaftsflächen aus. „Nicht jede Art kann in die Stadt ausweichen“, erklärt Dieter Schneider. Kiebitz, Rebhuhn oder Feldlerche benötigen zum Brüten relativ niedrigen Bewuchs. In den dichten Mais- und Rapskulturen finden sie weder Futter, noch gute Brutplätze. Immerhin, sagt Peter Kneis: „Die EU steuert schon ein wenig gegen.“ Landwirte bekommen Prämien, wenn sie ihre Flächen teilweise unbewirtschaftet lassen – und den Vögeln so ein Minimum Lebensraum geben. „Unsere Hoffnung ist es, den Landwirten zu zeigen: Wo könnte man etwas besser machen – aber ohne erhobenen Zeigefinger.“ Ein Gegeneinander, das bringe keinem etwas.

Wer die Vogelschützer bei ihrer Arbeit unterstützen möchte, kann seine eigenen Beobachtungen bei Pro Natura melden. Am besten inklusive Foto per E-Mail an [email protected].