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38 Minuten über den Dächern Freitals

Vor 85 Jahren wird in der Stadt am Windberg ein besonderer Verein gegründet. Seine Mitglieder sehnen sich nach Höhenflügen.

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© Repro: Sammlung Huth

Von Heinz Fiedler

Über die Geschichte der Segelfliegerei im Plauenschen Grund ist seit Jahrzehnten kaum etwas geschrieben worden. Vermutlich deshalb, weil der Segelflug in Deutschland mit in die NS-Zeit hineinspielt. Der Grundstein wird in unserer Gegend allerdings schon vor 1933 gelegt. Mitte Januar 1931 lädt Gewerbeoberlehrer Karl Söhnel am Segelflug interessierte Einwohner zu einer Beratung in die städtische Gewerbeschule ein. 30 Einwohner fühlen sich angesprochen. In einer leidenschaftlich vorgetragenen Ansprache unterstreicht Söhnel, dass es ihm auch darum gehe, jugendliche Arbeitslose für den Modellbau und eine Flugausbildung zu gewinnen. Um dieser Form von sinnvoller Freizeitgestaltung noch mehr Nachdruck zu verleihen, regt der Pädagoge die Gründung eines Vereins für Segelflug und Modellbau an. Die Voraussetzungen für einen solchen Schritt sind günstig. Söhnel präsentiert zwei im Rohbau fertiggestellte Modelle, denen lediglich noch die Bespannung fehlt. Die Darlegungen des Lehrers lösen die erhoffte Resonanz aus. An Ort und Stelle wird ein Verein ins Leben gerufen, dessen Vorsitz Werkmeister Neumann (Thodesche Papierfabrik Hainsberg) übernimmt. Als Fluglehrer steht Herbert Richter, ein gebürtiger Döhlener des Jahrgangs 1908, zur Verfügung.

Fluglehrer Herbert Richter stellte den ersten Freitaler Langzeitrekord auf.
Fluglehrer Herbert Richter stellte den ersten Freitaler Langzeitrekord auf. © Repro: Sammlung Huth

Schauplatz Obernaundorfer Flur

Der erste Auftritt der jungen Gemeinschaft lässt nicht lange auf sich warten. 14 Vereinsmitglieder beteiligen sich an einer Übung auf Obernaundorfer Flur. Die örtliche Presse schildert: „Bei gutem Wind zeigte Fluglehrer Richter beachtliche Flüge. Einen weiteren Höhepunkt bildeten Trainingsflüge einheimischer Jungflieger. Eine interessante Demonstration, verfolgt von über 200 Zuschauern …“

Wenig später herrscht im Poisental Hochbetrieb. Für Extras sorgt Richters Start mit einem Segelflugzeug vom Typ Grunau-Baby II. „Glückauf“ war Augenzeuge: „Man brachte den Flugkörper auf den nach dem Stadtteil Niederhäslich zu liegenden Osthang. Nachdem der Pilot die Waldzone überflogen hatte, nahm das Modell Kurs auf Niederhäslich. Im Anschluss an einige exakt ausgeführte Kurven landete der Flugapparat ohne Probleme auf dem Wiesengelände des Stadtteiles.“

Es ist vor allem Herbert Richters Verdienst, dass sich die Freitaler Gemeinschaft zügig entwickelt und schon bald 35 Mitglieder zählt. Der Döhlener Flugkapitän hatte bereits als Fünfjähriger an der Seite seines Vaters den Flugtag in Dresden-Kaditz besucht. Für Richter jun. eine bleibende, prägende Erinnerung. „Unvergesslich sind mir die Vorführungen von Hans Grade mit seinem Eindecker geblieben. Fortan hat mich die Fliegerei immer beschäftigt. In Schwarzenberg hatte ich Gelegenheit, eine Ausbildung als Fluglehrer zu absolvieren.“ Ein ehemaliges Schachtgebäude an der Dresdner Straße (später Sitz des Roten Kreuzes) wird zu einem Treffpunkt der Freitaler Segelflieger, die sich u. a. mit dem Bau von Schulgleitern und Flugmodellen wie dem Grunau-Baby beschäftigen.

Regionalrekord vor 81 Jahren

Am 10. Oktober 1935 erfüllt sich ein von Herbert Richter seit Langem gehegter Wunsch. Ein Traum von genau 38 Minuten. Der Fluglehrer startet vom Gelände des Segen-Gottes-Schacht-Denkmals.

Dazu aus Richters Aufzeichnungen: „Der Wind war weitaus stärker als unten im Tal. Die Flugaufsicht wäre unter diesen Bedingungen sicher nicht mit meinem Flug einverstanden gewesen. Ich wischte alle Bedenken beiseite und fiebert dem Startkommando entgegen. Wie ein Fahrstuhl schoss mein Flugkörper nach oben. Ich musste mit überhöhter Geschwindigkeit fliegen, um nicht aus dem Bereich der Hangkante zu geraten. Allmählich wurde der Flug ruhiger. In rascher Folge wechselten die Bilder. Weit unten sah ich das Windberg-Denkmal, das graue Band der Hauptstraße, die Gussstahlhütte. Nach einer leichten Linkskurve erreichte ich den Raum Burgk und Kleinnaundorf. Kurz hinter Coschütz sichtete ich eine größere Wiesenfläche, ideal zum Landen. Ich kam gut runter …“

Leute vom Fach bescheinigen dem Fluglehrer eine erstklassige Leistung. 38 Minuten über den Dächern Freitals, das hatte es bisher noch nicht gegeben. Doch schon fünf Monate später wird Richters Rekord ausgelöscht. Fluglehrer Kleber fliegt mit einem Baby-Modell eine Stunde lang über Weißiger Gelände.