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200 Euro im Monat zum Leben

Antje Öhmichen hat drei Kinder und jede Menge Sorgen, seitdem das Amt die Beförderungskosten zur Schule für ihre behinderte Tochter strich.

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© hübschmann

Von Jürgen Müller

Antje Öhmichen kommt mit ausgelatschten, kaputten Turnschuhen an. Sie hofft, dass kein strenger Winter mit Schnee und Matsch kommt, denn neue Schuhe kann sich die 31-Jährige nicht leisten. Das bisschen Geld, das sie hat, steckt die Lommatzscherin in ihre drei Kinder Nils (3), Lara (7) und Lena (11). Besonders letztere bereitet ihr finanzielle Sorgen. Denn Lena ist zu 50 Prozent behindert. Deshalb besucht das Kind eine Förderschule in Meißen. Weil das Kind wegen seiner Behinderung nicht in der Lage ist, selbstständig mit dem Bus zu fahren, wurde Lara von der 1. bis zur 3. Klasse mit dem Taxi von Lommatzsch nach Meißen und wieder zurück gefahren. Dann musste die Mutter einen neuen Antrag stellen. „Dabei vergaß ich, an einer Stelle ein Kreuz zu machen. Der Antrag wurde nicht genehmigt“, sagt die junge Frau. Aber das Landratsamt lehnte den Antrag auf Beförderung auch aus anderen Gründen ab. Es behauptet, das Kind sei nicht behindert. „Lena weiß nicht, wo sie aussteigen soll. Nachmittags würde sie nicht allein den richtigen Bus finden und dann auch nicht ankommen“, sagt die Mutter. Das will sie nicht riskieren.

Seitdem kämpft Antje Öhmichen mit den Behörden. Und seitdem muss die Mutter das Kind täglich mit dem eigenen Auto nach Meißen fahren und wieder zurück. Die junge Frau, die Arbeitslosengeld II bezieht, hat so Benzinkosten zwischen 200 und 300 Euro im Monat. „Ich weiß nicht mehr, wie ich das bezahlen soll“, sagt sie. Denn auch das Auto, das sie nun braucht, muss sie abzahlen. 1 200 Euro sind noch offen.

Antje Öhmichen ist keine, die klagt. Und sie ist vor allem keine, die die Hände in den Schoß legt. „Ich musste schon immer kämpfen und ich kämpfe weiter, auch und vor allem für meine Kinder“, sagt sie. Derzeit verdient sie ein bisschen Geld dazu durch einen Ein-Euro-Job in einer Sozialstation. Dadurch hat sie 76 Euro mehr im Monat. „Ich kann doch nicht zu Hause rumsitzen, möchte etwas tun,“, sagt die 31-Jährige. Am liebsten möchte sie umschulen als Arzthelferin, hofft auf einen Job, mit dem sie ihre drei Kinder ordentlich versorgen kann. Für ihre Kinder, vor allem für Lena, opfert sie sich schon jetzt auf. „Ich bin 14 Stunden am Tag für sie da, muss Lena pflegen“, sagt sie. Das Kind kann sich nicht selbst waschen, nicht allein Zähneputzen, nicht duschen.

Weil sie so viel Geld für Benzin aufbringen muss, konnte Antje Öhmichen ihre Stromrechnung nicht bezahlen. Die Stromschulden zahlt sie jetzt ab, zwei Monate lang muss sie noch jeweils 117 Euro berappen. Die kleine Familie lebt von Arbeitslosengeld II, dem Ein-Euro-Job der Mutter und dem Kindergeld. „Unter dem Strich habe ich für uns vier Personen im Monat 200 Euro zum Leben“, sagt die Lommatzscherin. Dennoch hat sie ein bisschen Geld abgezwackt, damit es zu Weihnachten ein paar kleine Geschenke gibt, für jedes Kind für rund 30 Euro.

Antje Öhmichen hat einen neuen Antrag gestellt auf Schülerbeförderung für ihre behinderte Tochter. Diesmal mit dem Kreuzchen an der richtigen Stelle und mit viel Hoffnung. Denn eine psychologische Einschätzung bestätigt, dass ihre Tochter sehr wohl behindert ist und Schülertransport braucht. Bei dem Kind wurde ein unterdurchschnittlicher Intelligenzquotient von 75 festgestellt. „Bei der heutigen Testung zeigte Lena unüberbrückbare Defizite in räumlicher Orientierung und beim Kurzzeitgedächtnis. Hinzu kommt das Risiko, dass Lena soziale Situationen nicht altersgerecht einschätzen kann. Schwierigkeiten gibt es beim Fahren zu Schule mit öffentlichen Mitteln. Leider kann Lena keine Entscheidungen für sich selbst treffen, da sie deren Folgen weder abschätzen noch voraussehen kann. Sie kann auch nie ohne Aufsicht alleingelassen werden, ihre Selbstständigkeit ist im sozialen Bereich auf dem Niveau eines sechs- bis siebenjährigen Kindes“, schreibt die Psychologin. Es bestehe das Risiko, dass das Kind zu fremden Personen ins Auto steige. Die Ärztin kommt zu dem Schluss: „Aus diesem Grund ist es sehr empfehlenswert, das Lena von zu Hause mit Schülertransport abgeholt und wieder gebracht wird.“

Antje Öhmichen hofft, dass das Amt nun ein Einsehen hat und die Beförderung wieder genehmigt wird. Sie hofft das auch deshalb, weil sie endlich wieder arbeiten gehen will. „Mich nervt das Hartz IV. Ich will arbeiten, mein eigenes Geld verdienen, nicht auf Unterstützung angewiesen sein“, sagt sie.

Etliche Bewerbungen hat sie schon geschrieben. Meist gab es nicht mal eine Antwort. Wenn doch mal ein Ablehnung kam, dann wurde ihr das zwar nicht direkt mitgeteilt, aber zwischen den Zeilen konnte sie lesen: An einer alleinerziehenden Mutter mit drei Kindern, eines davon auch noch behindert, haben viele Arbeitgeber kein Interesse.