Leipzig. Drinnen im Leipziger Gewandhaus feiern Politiker und Staatsmänner aus aller Welt sehr festlich 150 Jahre Sozialdemokratie. Draußen auf dem Marktplatz können die Bürger mitfeiern, mit Bratwurst, Live-Musik und Torte. Aber nicht alle, die am Donnerstag auf ein Bier stehen bleiben, sind so angetan wie die offizielle Festgesellschaft.
„Meine Lieblinge sind es nicht“, sagt ein 64 Jahre alter Magdeburger. Er schimpft auf abgehobene Funktionäre und beklagt, dass die SPD kein Ohr für die Sorgen und Nöte der Menschen habe. Soziale Gerechtigkeit? „Das Thema müsste richtig besetzt werden. Das macht die SPD aber nicht.“
Der Mann mit dem Bier ist nicht der einzige Skeptiker. Während die Musiker im Gewandhaus „Wann wir schreiten Seit‘ an Seit‘“ und „Brüder zur Sonne, zur Freiheit“ anstimmen, hält Studentin Sophie Dieckmann mit Kommilitonen Protestplakate in die Höhe. „10 Jahre Armut per Gesetz durch Agenda 2010“ steht drauf oder „14 Jahre Kosovo-Krieg“. „In den 150 Jahren sind sehr viele Dinge passiert, auf die die SPD überhaupt nicht stolz sein kann“, sagt Dieckmann (29). Die Studenten sagen, sie fänden es wichtig, „dass man so eine Feier auch kritisch begleitet“.
Leipzig und die Sozialdemokratie
Murrende Bürger und kritische Studenten treffen auf dem Marktplatz aber auch auf ganze Busladungen von Sozialdemokraten, die aus allen Ecken der Bundesrepublik zum Feiern nach Leipzig gekommen sind. Der SPD-Ortsverein Marl ist da, Berliner, Baden-Württemberger. „Die SPD“, sagt eine 70-Jährige aus dem Schwarzwald, werde auch in Zukunft eine wichtige Rolle in Deutschland spielen. „Sie muss für die Rechte der Arbeitnehmer eintreten, die ja längst noch nicht erfüllt sind. Und sie muss ein Gegengewicht zu den anderen Parteien sein.“
Egal ob Kritiker oder Anhänger - alle reden an diesem Tag von den Wurzeln der SPD. Am 23. Mai 1863 gründete Ferdinand Lassalle in Leipzig den Allgemeinen Deutschen Arbeiterverein - dies gilt als Geburtsstunde der deutschen Sozialdemokratie. Bundespräsident Joachim Gauck lobt beim Festakt, der live auf eine Großbildleinwand auf den Markt übertragen wird, dass die SPD stets auf Reformen statt Revolutionen gesetzt habe. SPD-Chef Sigmar Gabriel nennt seine Partei „die demokratische Konstante“ der deutschen Geschichte.
Gauck betont noch, dass die demokratischen Parteien auch in Zukunft unverzichtbar für das Leben der Demokratie seien. Damit stößt er bei Moritz Wußing (19) aus Leipzig auf offene Ohren. Er sei „glühender Sozialdemokrat“, sagt der Abiturient. Zwar sei er noch kein Mitglied, aber das wolle er jetzt sofort ändern.
Bevor der junge Mann abdreht, um beim SPD-Stand einen Mitgliedsantrag auszufüllen, sagt er noch, seine Generation sei nicht politikverdrossen. „Viele sind ein bisschen verdrossen, dass es nicht die ideale Partei gibt. Aber denen sage ich immer: Dann macht doch was! Tretet in die Partei ein, die euch am nächsten ist und macht sie zu eurer Partei! Das ist doch besser, als nur rumzumeckern!“ (dpa)