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13. Februar in Dresden - Schuld oder Unschuld?

Würdevoll und in Demut begehen die Dresdner den 13. Februar. Nur ganz selten werden die Grenzen des Erträglichen überschritten.

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© Ronald Bonß

Von Christoph Springer, Andrea Schawe, Alexander Schneider, Tobias Wolf, Andreas Weller und Ulrich Wolf

Mehr Trauer und Andacht auszudrücken, geht kaum. Seit 2010 steht die Skulptur „Trauerndes Mädchen am Tränenmeer“ auf dem Dresdner Heidefriedhof. Ihrer Schöpferin Malgorzata Chodakowska ist ein berührendes Denkmal gelungen: Ein kleines Mädchen hält betrübt den Kopf gesenkt, ihre Augen sind verschlossen, ihre langen gescheitelten Haare streng nach hinten gekämmt und zu einem Pferdeschwanz gebunden. Ihre Arme sind gekreuzt und dennoch ausgebreitet. Auf ihren Händen liegen seit dem Montagmorgen weiße Rosen.

Vor dem umstrittenen Aleppo-Monument an der Frauenkirche appellierte OB Hilbert an die Dresdner, mit dem Gedenken eine Brücke in die Gegenwart zu schlagen.
Vor dem umstrittenen Aleppo-Monument an der Frauenkirche appellierte OB Hilbert an die Dresdner, mit dem Gedenken eine Brücke in die Gegenwart zu schlagen. © Sven Ellger
Am Abend brennen am Neumarkt Kerzen des Gedenkens.
Am Abend brennen am Neumarkt Kerzen des Gedenkens. © Sven Ellger
Ohne weiße Rosen, aber mit vielen Transparenten rufen die Teilnehmer am „Mahngang Täterspuren“ die Orte des NS-Unrechts in Dresden in Erinnerung.
Ohne weiße Rosen, aber mit vielen Transparenten rufen die Teilnehmer am „Mahngang Täterspuren“ die Orte des NS-Unrechts in Dresden in Erinnerung. © René Meinig

Anmut und Demut strahlt dieses Bild aus. Stille. Die zahlreichen zumeist älteren Menschen, die an diesem Morgen auf dem Friedhof unterwegs sind, halten sich ebenfalls daran. Schweigend legen sie ihre weißen Rosen auf die Massengräber. Sie gedenken all der Menschen, die in der Bombennacht vom 13. auf den 14. Februar 1945 gestorben waren: Bis zu 25 000 waren es nach Angaben einer Historikerkommission.

Nachdenklich, den Blick starr geradeaus gerichtet, sich von nichts ablenken lassend, schreitet Dresdens Finanzbürgermeister Peter Lames auf die Grabanlage zu. Er legt ein Kranzgebinde nieder. Gelb-Schwarz sind die Schleifen, die Farben der Stadt. Ihm zur Seite ist Alexander Nachama. Der Rabbiner der Jüdischen Gemeinde von Dresden sagt: „Wenn Menschen unmenschlich behandelt werden, dann kann dies zu einer Katastrophe führen, in der viele Menschen, eben auch unschuldige, ihr Leben verlieren“, sagt der Rabbiner.

Etwa 100 Menschen hören dem Repräsentanten der Stadt zu.

Wer die Worte des Juden aber kaum zu ertragen scheint, sind die Vertreter der NPD und der AfD. Auch sie legen Kränze nieder, der von der AfD hat blaue Schleifen. Für den 75 Jahre alten Dresdner Uwe Lohse ist das ein Schock. „Diese Blumen sind Heuchelei“, urteilt er. Was der alte Mann nicht mitbekommt: Sogar der in Franken lebende Holocaust-Leugner Gerhard Ittner, der erst am vorigen Sonnabend eine volksverhetzende Rede in der Dresdner Innenstadt gehalten hatte, ist da; er hat sich im Gebüsch versteckt.

Ganz offen und würdevoll hingegen geht Dresdens Umweltbürgermeisterin Eva Jähnigen mit dem Gedenken um. Nahezu zeitgleich legt sie am Urnenhain in Dresden-Tolkewitz einen Kranz nieder. Sie erinnert an die Ermordung Tausender psychisch kranker und behinderter Menschen. „Es ist wichtig, dass wir über unsere Stadt hinaussehen, um zu erkennen, was Menschenfeindlichkeit, Rassismus und Unterdrückung anrichten. Die Menschen, die hier auf dem Friedhof begraben sind, waren unsere Mitbürger“, sagt sie.

Allein in der früheren Pflegeanstalt auf dem Pirnaer Sonnenstein vergasten die Nazis 1940/41 fast 14 000 Menschen. Zudem starben dort tausend Häftlinge aus Konzentrationslagern. Der heutige Kuratoriumsvorsitzende der Gedenkstätte Sonnenstein, Klaus Wallman, macht klar: Die „faschistischen Tötungsverbrechen“ an behinderten Menschen und Häftlingen seien den Luftangriffen auf Dresden vorausgegangen.

Die weiße Rose, man traut es sich kaum zu sagen, und dennoch ist sie es: ein Farbtupfer auf diesem grauen Klotz. Auf dem Gedenkstein am Altmarkt, wo die Leichen von rund 7 000 Opfern verbrannt worden waren, liegt das zarte Pflänzchen. Oberbürgermeister Dirk Hilbert hat sie dort am frühen Nachmittag niedergelegt. Fast allein. Es sei wichtig, „daran zu erinnern, was der Krieg an Leid über die Menschen bringt“, sagt er. Er erinnert an Judenverfolgung, Euthanasie oder Bücherverbrennung. Auch und gerade in seiner Stadt seien dabei „Täter am Werke“ gewesen. Somit habe die Dresdner Bevölkerung Schuld auf sich geladen, auch wenn die Stadt „an sich weder schuldig noch unschuldig“ sein könne.

Die Mitschuld der Stadt – nie zuvor hat ein Oberbürgermeister sie so deutlich eingeräumt. Noch vor einer Woche war er wegen dieses Statements ausgebuht, niedergeschrien, auf Facebook sogar mit dem Tode bedroht worden. Er hatte seine Worte mit dem Kunstprojekt „Monument“ verbunden, das der syrisch-deutsche Künstler Manaf Halbouni vor der Frauenkirche errichtet hat. Es versinnbildlicht eine Straßensperre aus drei hochkant aufgestellten Bussen in der syrischen Stadt Aleppo. Ein Mahnmal für den Frieden.

Ohne weiße Rosen, dafür aber mit einem Transparent ziehen ein paar junge Männer durch die Theaterstraße. Schwarz gekleidet, Sonnenbrille, tief ins Gesicht gezogener Schal und Kapuze. Ihr Transparent zeigt einen britischen Bomber aus Weltkriegstagen, darauf steht: „England 1 – 0 Dresden“.

Die jungen Männer zählen zu den rund 800 Leuten, die beim „Mahngang Täterspuren“ mitlaufen. Auch Manfred Lehmann ist dabei. Der 63-Jährige ist fassungslos ob solcher Transparente. Doch er will nur erinnern an die Orte des Nazi-Terrors in der Stadt, nicht zusätzlichen Hass schüren. Denn das ist der eigentliche Zweck des Mahngangs: darauf hinzuweisen, dass der Mythos einer „unschuldigen Stadt“ mit den geschichtlichen Fakten nicht übereinstimmt. Mit deutlich weniger Teilnehmern als in den Jahren zuvor hatte der Mahngang am Wettiner Platz begonnen, dem Ort der ersten Bücherverbrennung. „Auch Dresden war schuldig“, sagt Susann, 27, Studentin. Sie hat ihre Tochter im Kinderwagen dabei. Gerade in Zeiten, in denen der Opfermythos von Pegida & Co. wieder bemüht werde, müsse die Zivilgesellschaft Gesicht zeigen.

Die von der Evangelischen Hochschule Dresden und dem Bündnis „Nazifrei – Dresden stellt sich quer“ organisierte Demonstration stoppt auch am Ordnungsamt in der Theaterstaße. Dort hatte zur NS-Zeit die Gesundheitspolizei ihren Sitz, die die Vererbungs- und Rassepolitik umsetzte. Am einstigen Adolf-Hitler-Platz, dem heutigen Theaterplatz, liest der in Bonn geborene Schauspieler Claudius von Stolzmann vor, wie wichtig dieser Platz in den 1930er-Jahren war, um die Macht und Größe der NSDAP in Dresden zu symbolisieren, „Auch heute denken diejenigen, die hier Kundgebungen abhalten, sie würden den Willen der Stadtgesellschaft ausdrücken“, sagt er. „Das ist Pferdescheiße.“

So drückt sich Dresdens Oberbürgermeister nicht aus. Bei seinem zweiten Auftritt steht er auf dem Neumarkt, hinter ihm das Kunstprojekt „Monument“. Kein Grölen, keine Buhrufe, keine Pöbeleien, als das Stadtoberhaupt zu ihnen spricht. In Dresden habe die NSDAP Mehrheiten versammelt wie in keiner anderen deutschen Stadt, sagt er. Die heftigen Reaktionen auf seine Aussage, Dresden sei keine unschuldige Stadt gewesen, belegten, wie das die Bevölkerung immer wieder aufs Neue spalte. Diese Gräben müssten überwunden werden.

Es ist dunkel, als 12 000 Dresdner und ihre Gäste die Menschenkette bilden. Auch Sachsens Ministerpräsident Stanislaw Tillich reiht sich ein. Am Rand des Platzes steht eine Gruppe Pegida-Anhänger. Sie halten ein Transparent in die Höhe. Darauf steht: „Politiker = Leben fern der Realität“. Polizeisprecher Thomas Geithner sagt: „Nach dem 3. Oktober und dem vergangenen Dienstag mussten wir lernen, den Störerbegriff auch auf Menschen über 50 anzuwenden.“

Eine Randnotiz, denn die meisten der 12 000 Menschen sind wie Evelyn Clement. „Es ist schön, hier für den Frieden zu stehen“, sagt die 19-Jährige. Sie macht ein freiwillig soziales Jahr in Dresden, ist erstmals am 13. Februar dabei. Für sie ist die Menschenkette „ein Denk-Mal“. Die Schreibweise habe sie eben am „Monument“ gesehen, und das gefalle ihr. Angelique ist auch erst 20, sie war jedoch mit sieben Jahren bereits das erste Mal hier. „Mit meinem inzwischen verstorbenen Großvater“, sagt sie. Er sei fünf Jahre alt gewesen, als Dresden bombardiert wurde.

Für Gert Lunau, deutlich älter als die jungen Frauen, ist die Erinnerung wichtig, dass „die Idee, Städte zu bombardieren, etwa von Deutschland ausgegangen“ ist. Seit er Kinder habe, beschäftigte er sich intensiver mit dem Thema. „Wer hier laut ist, hat den Anlass nicht verstanden“, sagt er.

Ein paar Meter weiter hat sich Christian Petzold aus Moritzburg eingereiht. Der 50-Jährige steht neben einem Überlebenden des Bombardements. „Das bewegt mich und macht mir noch klarer: Krieg ist immer nur Schwachsinn.“

Ein Satz, der dem trauernden Mädchen am Tränenmeer auf dem Heidefriedhof gefallen würde.