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120 Reichsbürger im Kreis

Nirgendwo sonst leben so viele Reichsbürger wie in Mittelsachsen. Sechs von ihnen haben eine Waffenerlaubnis.

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© Symbolbild/dpa

Von Maria Fricke

Döbeln. Schockierende Nachricht für den Landkreis: Der durchschnittliche Reichsbürger in Sachsen ist 49, männlich und kommt aus Mittelsachsen. Das geht aus dem am Dienstag vorgestellten Lagebericht des Landesamtes für Verfassungsschutz (LfV) hervor. Laut diesem sind bis zum Stichtag 30. Juni 2017 120 von insgesamt 718 sogenannten Reichsbürgern und Selbstverwaltern aus Sachsen im Landkreis ermittelt worden. Auf Rang zwei folgt der Vogtlandkreis mit knapp 98.

Unter den erfassten Reichsbürgern ist die Mehrheit mit 86 Personen männlich. Aber auch 34 Frauen lehnen als Reichsbürgerinnen die Bundesrepublik Deutschland ab. Untersucht hat das LfV zudem, ob die Reichsbürger eine waffenrechtliche Erlaubnis haben und zudem als rechtsextremistisch bezeichnet werden können. In Mittelsachsen haben demnach sechs Reichsbürger auch die Erlaubnis, eine Waffe bei sich zu führen. Elf werden den Rechtsextremisten zugeordnet.

„Wir sehen zum ersten Mal ein solches Lagebild und es stimmt einen schon nachdenklich, wenn man die Zahlen für Mittelsachsen sieht“, kommentiert Landrat Matthias Damm (CDU) die aktuellen Zahlen. Über die Gründe für den hohen Anteil an Reichsbürgern im Kreis ließe sich jedoch nur spekulieren. Damm spricht an, dass es für den Begriff Reichsbürger bisher keine juristische Definition gibt. Diese würde eine stärkere Orientierung ermöglichen. „Als Landratsamt sind wir für das Thema sensibilisiert. Wir wenden hier, wie bei anderen Bürgern, die entsprechenden Gesetze konsequent an“, so der Landrat.

Eine Bewegung, die ihren Sitz in Mittelsachsen hat, gibt es laut dem Lagebericht des LfV nicht. Die dem Landkreis am nächsten liegende ist die „Freie Wählergemeinschaft Einiges Deutschland“, die ihren Sitz in Chemnitz hat. Ob es in Mittelsachsen bestimmte Regionen gibt, in denen besonders viele Reichsbürger leben, lässt sich laut Kriminalinspektor Martin Döring vom LfV nicht sagen. Er warnt vor einer falschen Auslegung der Zahlen: „Dass in Mittelsachsen überdurchschnittlich viele ,Reichsbürger und Selbstverwalter‘ gezählt wurden, darf nicht zu dem Schluss führen, dass Einwohner dieser Region besonders anfällig sind für diese krude Ideologie.“

Oftmals sei es so, dass meinungsstarke und redegewandte Reichsbürger in ihrem unmittelbaren Umfeld eine hohe Ausstrahlungskraft besitzen und so Menschen anziehen, die sich von der Zugehörigkeit zu der Gruppe Vorteile erhoffen. „Demzufolge mag man unterstellen, dass es in der mittelsächsischen Region eine kleine Häufung dieses Personenkreises gibt, nicht jedoch eine spezielle Anfälligkeit der Mittelsachsen für die Reichsbürger-Ideologie“, betont der Pressesprecher.

Von den sechs Reichsbürgern, die laut dem Lagebericht eine waffenrechtliche Erlaubnis haben, sei bisher bei einer diese Genehmigung widerrufen worden, sagt Kreissprecher André Kaiser. „In einem zweiten Fall wurden die Waffen, nebst den Erlaubnisdokumenten, zunächst sichergestellt, das Widerrufsverfahren dazu läuft noch“, ergänzt er. Die anderen vier würden ständig überprüft.

Bleibt die Frage, wie die Reichsbürger zu der Waffenerlaubnis gekommen sind. Schließlich sind dafür gültige Dokumente vorzulegen. „In waffenrechtlichen Verfahren ist es noch nicht vorgekommen, dass keine gültigen beziehungsweise Fantasiedokumente vorgelegt wurden. Das würde zur sofortigen Zurückweisung des Antrages führen“, erklärt Kaiser. Denkbar ist, dass die Mittelsachsen die Anträge vor ihrem Entschluss, Reichsbürger zu werden, gestellt haben. In unregelmäßigen Abständen gebe es durch die Waffenbehörde des Landratsamtes allerdings Nachkontrollen.

Nur wenige Reichsbürger in Döbeln

Vereinzelt haben Mitarbeiter des Landratsamtes bisher auch schon Kontakt zu Reichsbürgern gehabt. Einige hätten Zahlungen, wie Steuern, Strafzettel sowie andere Bußgelder, verweigert. Zudem sei es gegenüber einigen Mitarbeitern zu verbal-aggressivem beziehungsweise penetrantem Verhalten, bedrohlich wirkendem Auftreten sowie vereinzelt auch zu Beleidigungen gekommen, wie Kaiser berichtet.

Auch die Stadtverwaltungen im Altkreis hatten teilweise schon mit Reichsbürgern zu tun. In Einzelfällen sind, wie eine Umfrage des DA im Frühjahr 2017 ergeben hat, Ausweise in den Behörden mit der Begründung abgegeben worden, dass die BRD als Staat nicht anerkannt wird. Impulsiv war dabei der Auftritt eines Reichsbürgers im Rathaus Ostrau. Wie Bürgermeister Dirk Schilling (CDU) schilderte, habe der Anwohner seinen Ausweis ins Zimmer geworfen. Drei Personen haben bis Mitte März 2017 im Döbelner Rathaus ihren Personalausweis abgegeben. Bekanntester Reichsbürger der Region war Rosa von Zehnle in Hartha, der zeitweise sogar Bürgermeister der Stadt werden wollte. Inzwischen ist der Mann verschwunden.

Durch besonders schwere Straftaten ist die Szene in Mittelsachsen bislang nicht aufgefallen.

Speziell für die Mitarbeiter von Behörden in Kommunal- und Justizverwaltungen bietet das LfV sachsenweit Informationsveranstaltungen zu dem Thema an. Der Bedarf sei groß, sagt Martin Döring vom LfV. Dies zeige sich an dem großen Zuspruch, den die Veranstaltungen erfahren. Bei diesen informiert das LfV unter anderem über die Hintergründe zu den Reichsbürgern sowie über den richtigen Umgang mit diesem Personenkreis.