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Paragrafen gegen den Hass im Netz

Die Regierung hat das umstrittene Gesetz gegen Internet-Hetze gebilligt. Kritiker sehen die Meinungsfreiheit in Gefahr.

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Von Peter Heimann, Berlin

Voriges Jahr wurde in Süddeutschland einem Flüchtling vorgeworfen, Kinder im Hallenbad sexuell belästigt zu haben. Die Staatsanwaltschaft ermittelte, sah aber weder den Tatbestand noch andere Straftatbestände des Verdächtigen erfüllt. Nach Medienberichten über die Einstellung ergossen sich über die Ermittler und die gesamte Justiz übelste Beschimpfungen in sozialen Netzwerken.

„Alle an die Wand und weg, so kann man Steuern sparen und hat bald Ruhe vor solchen Dreckschweinen. Todesstrafe wie in Amerika“. So kommentierte etwa eine Frau auf Facebook die Entscheidung der Staatsanwaltschaft – eine Mutter mehrerer Kinder. Als sie von der Polizei mit den Vorwürfen konfrontiert wurde, brach sie in Tränen aus und verstand die Welt nicht mehr. Sie hat ganz offenbar nicht damit gerechnet, erwischt zu werden. So scheinen viele zu denken, die ohne Scham – und Verstand – schlimmste Kommentare posten. Weil sie sich im Netz anonym und geschützt fühlen, hauen sie raus, was sie von Angesicht zu Angesicht so oft nie sagen würden.

Das Verfahren gegen die Dame wurde eingestellt. Ihre Äußerungen erfüllten weder den Vorwurf der Volksverhetzung noch wurde in ihnen eine konkrete Aufforderung zu Straftaten gesehen. Gestern hat die Bundesregierung ihr umstrittenes Gesetz gegen Hass und Hetze im Internet auf den Weg gebracht. Kritiker schlagen aus allen Richtungen Alarm. Sie sehen durch den Entwurf von Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) die Meinungsfreiheit in Gefahr. Die SZ erklärt das Vorhaben:

Worum geht es in dem Gesetz eigentlich genau?

Maas will insbesondere die großen sozialen Netzwerke zwingen, Hassbotschaften im Netz konsequenter zu entfernen und damit geltendes Recht besser durchsetzen. Offenkundig strafbare Inhalte sollen innerhalb von 24 Stunden gelöscht werden. In komplizierteren Fällen bekommen die Internetkonzerne sieben Tage Zeit. Wer dem nicht nachkommt, muss mit saftigen Bußgeldern – im Extremfall bis zu 50 Millionen Euro – rechnen. Für strafbare Hetze dürfe im Netz genauso wenig Platz sein, wie auf der Straße, so der Minister. „Die Meinungsfreiheit endet, wo das Strafrecht beginnt.“

Haben die Konzerne überhaupt die Kompetenz für die Entscheidungen?

Genau darin sehen viele Kritiker eine Gefahr. Sie beklagen eine „Privatisierung der Rechtsdurchsetzung“. Es sei Aufgabe des Rechtsstaates und nicht der Plattformen, darüber zu entscheiden, was von der Meinungsfreiheit gedeckt ist. Zudem wird befürchtet, dass die hohen Bußgelder den Druck erhöhen, Inhalte vorschnell zu löschen. Sie seien „fast eine Einladung dafür, nicht nur wirkliche Beleidigungen zu löschen, sondern am Ende sicherheitshalber alles“, so die Grüne Renate Künast.

Was hält der zuständige Minister den Kritikern entgegen?

Über die Frage, welche Inhalte strafbar sind, entscheiden letztlich Gerichte, so Maas.. Das Bundesamt für Justiz – Anlaufstelle für Nutzerbeschwerden – wendet sich an diese, wenn es der Auffassung ist, dass Inhalte strafbar sein könnten.

Wie ist der aktuelle Status beim Löschen von Hasskommentaren?

„Unser Problem ist, dass nicht zu viel, sondern zu wenig strafbare Inhalte von den sozialen Netzwerken gelöscht werden“, sagt Maas. Nach monatelangen Verhandlungen mit den Unternehmen habe sich keine Besserung gezeigt. Laut einer Studie von jugendschutz.net entfernt Twitter gerade einmal ein Prozent der gemeldeten strafbaren Inhalte, bei Facebook sind es 39 Prozent. YouTube hat eine Löschquote von derzeit immerhin 90 Prozent.

Wie steht es um den Auskunftsanspruch für Opfer?

Der Richterbund hatte gefordert, dass Netzwerke verpflichtet werden, die Namen anonymer Verfasser von Hasskommentaren an Opfer herauszugeben. Maas hat hier nachjustiert: „Jeder, der in seinem allgemeinen Persönlichkeitsrecht verletzt wird, kann grundsätzlich von dem Betreiber des sozialen Netzwerks Auskunft darüber verlangen, wer die Rechtsverletzung begangen hat“, so das Justizministerium. Die Herausgabe der Daten muss allerdings durch das zuständige Zivilgericht angeordnet werden. Netzaktivisten fürchten allerdings einen „Einstieg in die Abschaffung der Anonymität im Netz“.

Wann kommt das Gesetz, noch in dieser Wahlperiode?

Maas sieht die Voraussetzungen dafür gegeben. Unternehmen, Verbände, Parteien oder Juristen warnen jedoch vor einem Schnellschuss. Es dürfe nicht aus „wahlkampftaktischen Überlegungen im Hauruck-Verfahren ein handwerklich schlechtes Gesetz beschlossen werden, bei dem heute schon klar ist, dass es mehr Schaden als Nutzen erzeugt“, erklärt Bitkom-Chef Bernhard Rohleder. Die letzte Sitzungswoche des Bundestages ist auf Ende Juni terminiert. (mit dpa)