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Bischofswerda auf der Überholspur

Im SZ-Interview nach einem Jahr Amtszeit sagt Rathauschef Holm Große, wo seine Stadt steht, wo er Reserven sieht und wo das Potenzial zum Überholen.

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© Steffen Unger

Von Gabriele Naß

Die Sehnsucht nach einem Wechsel an der Spitze im Rathaus war groß. Dann kam im Juni 2015 die Wahl zum neuen Oberbürgermeister. Der langjährige OB Andreas Erler trat nicht mehr an. Deutlich gewann der parteilose Holm Große aus Bischofswerda (66 Prozent) gegen der Schiebocker Robert Geburek (parteilos, 34 Prozent). Im August 2015 trat Holm Große sein Amt an. Das SZ-Interview – eine Bilanz.

Herr Große, Sie kommen gerade aus dem Familienurlaub. Wo waren Sie?

In der Slowakei – meiner zweiten Heimat, die ich während meines Studiums schätzen und lieben gelernt habe.

Im Sommer vor einem Jahr war für Sie an Urlaub nicht zu denken. Sie traten ihr Amt als Oberbürgermeister in Bischofswerda an und sagten, die Probleme im Rathaus sind größer als Sie dachten, der Berg an Problemen höher als sie es für möglich gehalten haben. Wie hoch gemessen ist der Berg heute noch?

Der Problemberg ist etwas niedriger, der Aufgabenberg aber trotzdem noch sehr hoch. Um in diesem Bild zu bleiben: Wir haben die Talsohle durchschritten, auf uns wartet aber noch viel Arbeit.

Die SZ titelte zu ihrem Amtsbeginn „Der OB ohne Geld“. Sie traten ja auch an bei leeren Kassen und mit einer Haushaltsreform unter Aufsicht vor der Brust. Grund zur Euphorie beim Geld gibt es nach wie vor nicht. Aber kann man sagen, dass Bischofswerda wieder Boden unter den Füßen hat?

In finanzieller Hinsicht herrscht meines Erachtens bei keiner Kommune in Sachsen Euphorie. Aber ja, wir haben wieder Boden unter den Füßen und strampeln uns frei. Wer hätte denn in unserer Stadt vor einem Jahr für möglich gehalten, dass wir in den nächsten Jahren für rund fünf Millionen Euro ein neues Kita-Zentrum in Bischofswerda-Süd bauen können?

Unter Ihrer Führung setzt die Stadt Bischofswerda klare Prioritäten beim Geldausgeben. Die meisten Millionen fließen in den nächsten Jahren in neue Kindertagesstätten. Warum?

Vereinfacht gesagt: Weil Kinder unsere Zukunft sind. Aber auch, weil bei Kindereinrichtungen ein Investitionsstau aufgelaufen ist. Bischofswerda hat in seinem Leitbild die Familienfreundlichkeit fest verankert. Von neuen Kindereinrichtungen profitieren alle. Betriebskosten werden endlich beherrschbar und damit verbunden auch die Elternbeiträge. Wir möchten attraktiv sein – für unsere Familien und andere aus dem Umland. Die Kita-Landschaft ist da einer von vielen Bausteinen, unter anderem neben günstigen Eigenheim-Standorten – die übrigens sehr gut angenommen werden – und dem Erhalt der freiwilligen Leistungen, wie Tierpark, Freibad, Carl-Lohse-Galerie und Bibliothek.

Von Beginn an sagen Sie, die Stadt ist umso lebenswerter, je mehr Menschen hier leben und je mehr Jobs es gibt, weil das Einnahmen nach sich zieht. Nun gibt es nach einem Jahr Amtszeit Holm Große 6,6 Prozent Arbeitslose im Bereich Bischofswerda. Diese Quote liegt deutlich unter der des ganzen Arbeitsamtsbezirkes Bautzen (8,1). Aber es gibt hier weder nennenswerten Zuzug noch einen Job-Boom. Wie bewerten Sie Ihre und die Arbeit Ihres Wirtschaftsförderers bisher. Was soll folgen?

Was bedeutet für Sie nennenswerter Zuzug? Die ehemaligen Bewohner der Erstaufnahmeeinrichtung und die des Asylbewerberheims außen vor gelassen, sind zwischen Juni 2015 und Juni 2016 mehr Leute nach Bischofswerda gezogen (423) als von hier weg (415). Wir brauchen doch nur mal nach Großdrebnitz an den Buchenweg oder hier in der Stadt an den Paul-Kegel-Weg zu schauen: Von insgesamt 37 Parzellen sind nur noch sieben frei. Die Besitzer der Eigenheime kommen zum größten Teil aus der näheren Umgebung bis hin nach Dresden. Bischofswerda ist als Wohnstandort attraktiv. Auch für Leute, die auswärts arbeiten. Zum Thema Job-Boom: Jede Arbeitsstelle, die neu entsteht, ist ein Schritt nach vorn. Die Zeit der großen Ansiedlungen ist überall vorbei. Aber es gibt bereits sichtbare Ergebnisse: DHL wird auf das Herrenmode-Gelände an der Belmsdorfer Straße ziehen, Temedia hat sein Logistikzentrum von Remscheid nach Bischofswerda verlegt und mein Werben für eine bewusste Entscheidung des Bildungswerkes der Sächsischen Wirtschaft für den Standort Bischofswerda wird jetzt mit der Berufsschulgenehmigung vorläufig gekrönt. Die Arbeitslosenquote sank binnen eines Jahres im Vergleich zum Vorjahresmonat (Juni 2015) von 8,0 auf 6,6 Prozent. Mit 20 Prozent weniger Arbeitslosen im Vergleich zum Vorjahr belegt Bischofswerda einen Spitzenplatz in Sachsen.

Wirtschaftsförderung lässt sich nicht nach einem Jahr im Amt bei mir oder einem Vierteljahr bei Matthias Hoyer (der Wirtschaftsförderer – d.Red.) bewerten. Das bedarf langfristiger Entwicklungen, die wir gemeinsam angeschoben haben und weiter betreuen werden.

Investoren sind scheu. Was wissen Sie: Wie groß ist deren Interesse an Bischofswerda gegenwärtig?

Das Interesse von Investoren an Bischofswerda ist deutlich spürbar. Bei ihnen können wir in der Summe aller infrastrukturellen Voraussetzungen und mit der Professionalität unserer Anfragenbearbeitung punkten.

Sie traten an mit dem Ziel, die Innenstadt wertig zu entwickeln. Viel passiert ist noch nicht. Was ist das Problem?

Wirtschaftsförderung ist eine langfristige Sache. Trotzdem gibt es in Bischofswerda – entgegen dem Trend – mehr Gewerbeanmeldungen als -abmeldungen. So stehen mit Stand Juni den 16 Abmeldungen insgesamt 43 Anmeldungen entgegen. Unter anderem ein Maklerbüro, eine Töpferei und ein Modegeschäft begannen in diesem Jahr in der Innenstadt ihre Geschäftstätigkeit. Für große Filialisten sind wir als Stadt leider zu klein. Wir ermuntern deshalb mittelständische Händler aus der Region, in Bischofswerda ihre Chancen zu nutzen.

Das Citymanagement Bautzen hat in der Innenstadt einen Testshop eingerichtet. Interessierte können ihn für wenig Geld zeitweise mieten. Die Neukircherin Karin Mross beispielsweise nutzt das für die Präsentation und den Verkauf von Textilien aus Pulsnitzer Blaudruck und Oberlausitzer Leinen. In Bischofswerda gestaltet der Wirtschaftsförderverein das Schaufenster eines geschlossenen Geschäftes. Warum wird die noch bessere Idee aus Bautzen nicht einfach nachgenutzt?

Wer sagt, dass diese Idee besser ist? Das ist sie erst, wenn sich ein Händler danach längerfristig ansiedelt. Beim Spielwarengeschäft ist aber auch eine Lösung in Sicht, die nicht direkt mit Handel zu tun, aber eine Anmietung mit einem Dienstleistungsangebot zum Ziel hat. Ladengeschäfte bieten wir aktiv an, für den Engel gibt es endlich ernsthafte Interessenten. Mit der Werbegemeinschaft arbeiten wir an neuen Formen der Innenstadtbelebung und -vermarktung sowie der kommunalen und regionalen Wertschöpfung.

Der Altmarkt wurde 2008 umgestaltet. Eine nichtrepräsentative Umfrage der SZ ergab: 54 Prozent der Befragten gefällt der Markt. Das Kunstobjekt in der Mitte lehnen aber 60 Prozent ab, mehr als die Hälfte kann nicht sagen, mit welcher Symbolik es punktet. Noch schlechter wird die Geschäftssituation am Markt bewertet. Nur 28 Prozent finden die Angebote attraktiv. Was bedeutet das für die Planungen im Rathaus?

Da kommen wir zum Problem der Eigenwahrnehmung, die meines Erachtens schlechter als die tatsächlichen Gegebenheiten ist. Wir haben in der Innenstadt sehr gute Spezialisten, für die auch Kunden aus dem näheren Umland, aber auch aus Dresden und Görlitz, nach Bischofswerda kommen. Klar wünsche ich mir zum Beispiel auch ein Sportgeschäft im Zentrum, aber wir können niemanden zwingen, in der Innenstadt einen Laden zu eröffnen. Aber wir können für unser Bischofswerda offensiv werben und immer wieder Klinken putzen – und dies tun wir.

Sie haben Ihre Verwaltung umgekrempelt, die Leitungsebene gestrafft, die Verantwortung des Einzelnen gestärkt und Personalkosten in sechsstelliger Höhe gespart. Beobachter, darunter aus den Reihen des Stadtrates, finden trotzdem Kritikpunkte. Prozesse wie die Kitaplanung würden Sie zu sehr dem Fachamt überlassen. Haben Sie zu viel Verantwortung abgegeben?

Nein. Lokalpolitik bedeutet nicht, eine Ein-Mann-Show aufzuführen. Meine Aufgabe als Oberbürgermeister ist es, gemeinsam mit dem Stadtrat strategische Entscheidungen zu treffen und dabei entstehende Prozesse zu moderieren und zu überwachen - Fachämter heißen nun mal Fachämter, da dort die Fachleute für alle auftretenden Aufgaben ansässig sind. Und wir haben in der Stadtverwaltung gute Leute vom Fach, denen ich durch die Umstrukturierung die Eigenverantwortung zugestehe, die sie benötigen, um wirksam zu werden.

Sie halten Bischofswerda für eine Stadt, die andere bei der Entwicklung in den nächsten Jahren überholen kann. Was macht Sie da so optimistisch bzw. an welches Potenzial denken Sie? Das schnellste Internet zum Beispiel?

Auch, denn die erste Frage von Investoren lautet meistens: Wie sieht es bei Ihnen mit schnellem Internet aus? Bischofswerda hat aber noch viel mehr Potenzial, das von Außenstehenden fast schon mehr als von Einheimischen wahrgenommen wird. Unternehmer entdecken uns als Stadt im positiven Umbruch. Wir haben alle Funktionen eines Mittelzentrums und sind für die umliegende Region Anlaufpunkt in allen Lebenslagen. Diese Zugkraft beweist auch die vom Verband der Sächsischen Wohnungsbaugenossenschaften in Auftrag gegebene Studie der Empirica AG. In dieser wird Bischofswerda als „Versteckte Perle“ mit Zuzug aus der Umgebung eingestuft, als Standort mit guten Prognosen für die Entwicklung, an dem man gerade jetzt (so lange er noch nicht von allen „entdeckt“ wurde) investieren sollte.

Sie versprachen den Schiebockern einen OB für alle und ein neues Wir-Gefühl. Inwiefern ist zum Beispiel die Tatsache, dass jetzt fürs Stadtfest deutlich weniger Lose verkauft worden sind als 2015 ein Indiz dafür, dass der Weg weiter und schwieriger ist als gedacht?

Die Anzahl der Lose sehe ich nicht als Indiz für weniger Zusammenhalt. Die Schiebocker Tage waren auch dank des Engagements der ehrenamtlichen AG „Schiebocker Tage 2.0“ sehr gut besucht. Gäste kamen von überall her. Das neue Wir-Gefühl findet sich mittlerweile im Alltag wieder. Zielorientiert wird gemeinsam nach Lösungen gesucht – Unternehmer, Vereine, Verbände, die Kirchen, Stadträte, unsere Stadtverwaltung und viele mehr bringen sich ein, um für ein neues, besseres Bischofswerda zu wirken. Darauf bin ich sehr stolz und lasse dies auch nicht kleinreden.